10 Feb 2015
Das größte Gerät der Welt – Teil zwei.
Bonjour mes amis!
Ok, es gab als Vorspeise die Suppe; gehen wir zum Hauptgang… oder besser in den Hauptgang – direkt in den Auflauf, der als Hauptgang serviert wird, und schauen wir uns die Füllung an – sozusagen Steak und Niere hier…
Einfacher gesagt: Lassen Sie uns herausfinden, was innerhalb der Mauern dieser einfachen Gebäude an der schweizerisch-französischen Grenze passiert, wo Atomphysiker die Beschaffenheit unserer Umwelt studieren – und das in deren Innerstem.
Allerdings… machen Sie sich keine Hoffnungen, dass ich hier jedes Detail, das in diesen Beschleunigern passiert, allgemeinverständlich beschreiben kann. Ich kann Ihnen nur sagen, an was ich mich nach unserer vier Stunden dauernden Exkursion erinnern kann; und wenn man den unausweichlichen Gedächtnisverlust in Betracht zieht, werden da nicht viele harte Fakten dabei sein. Aber ich habe mir von meinen beiden Reisebegleitern A.B. und S.B. helfen lassen, also ist die ganze Geschichte nicht ohne Grundlage…
Doch zunächst wieder ein Hinweis:
Liebste Atomphysiker! Noch eine Bitte! Bitte verstehen Sie, dass ich versuche, komplexe Wissenschaft so kurz wie möglich zu erklären – Technologien, Prozesse, Experimente… – aber ich mache das als einfacher Mann von der Straße, der zufällig durch ein Loch in der Tür zu einem Raum mit einigen der weltgrößten Geheimnisse blicken konnte. Also kann es hier einige Ungenauigkeiten geben. Seien Sie bitte nachsichtig mit mir! Wenn die Profis unter meinen Lesern was zu sagen haben, dürfen sie das aber gerne… > einfach unten in den Kommentaren.
Jeder, oder zumindest fast jeder, wird schon einmal vom Large Hadron Collider und dem CERN gehört haben.
Aber wenn man nur davon gehört und sie nicht selbst gesehen hat, können beide etwas… abstrakt erscheinen, und auch recht verblüffend und verwirrend – so wie in „WAAAAS?!!“. Wenn einem aber alles langsam und methodisch erklärt wird – und zwar in den CERN-Gebäuden – wird das alles langsam ein bisschen klarer.
Zunächst ein wenig Geschichte… Das CERN startete recht bescheiden in den 1950er Jahren. Seit damals ist es organisch gewachsen und wurde immer wieder erweitert. Neue Bereiche wurden hinzugefügt, wenn sie gebraucht wurden. Das formte eine regelrechte Flickendecke von Beschleunigern verschiedener Größe und unterschiedlicher Zwecke – zum Beispiel für Streuung und Untersuchung von Mikroelementen aller Arten von Materie.
Zunächst gab es nur relativ kleine Beschleuniger (der erste wurde 1957 gebaut). Mit der Zeit und mit neu entwickelten Technologien, wurden effektivere Beschleuniger hinzugefügt, während die alten in Rente geschickt wurden, da ihre Technologien langsam weniger relevant wurden.
Das Flickwerk des CERN ist heute ein sehr komplexes und verzweigtes System zur Zerschlagung atomarer Partikel. Zuerst schickt man die Partikel in einen Beschleuniger, dann in einen anderen, dann in einen dritten und so weiter, bis diese Partikel bei Mega-Geschwindigkeit aufgelöst werden. Dann werden megastarke Magnetfelder verwendet, um die Partikel zum Ziel zu schicken. Und voila! Man nehme ein Proton hier oder ein Neutron da, rotiere es bis zu brutalen Geschwindigkeiten und schon schießt es zum Ziel! Und dann geht man hin und schaut, was dabei passiert ist.
Das ist moderne Alchemie!
Im dunklen Mittelalter mischten Alchemisten die seltsamsten Zutaten, erhitzten sie und schauten sich das Ergebnis an. Moderne Alchemisten machen das auch – nur mit anderen Zutaten. Bei ihnen kollidieren Protonen mit Neutronen, und das fast mit Lichtgeschwindigkeit, und dann schauen sie sich das Ergebnis an. Dieser Vergleich hat mich nachdenklich gemacht: Der Mensch war immer Neugierig – und ignorant! Und das ist heute noch so – immer noch ein neugieriger Ignorant! Natürlich haben wir seit dem Mittelalter viel gelernt, aber mit der Zeit bemerken wir auch, wie sich die äußeren Grenzen unseres Wissens weiterhin ausdehnen – fast endlos! Das ist kurios! Und aufregend – es bedeutet, dass es noch viel gibt, das wir entdecken können :).
Doch lassen Sie uns jetzt erst einmal zum Greifbaren zurückkehren…
Ich dachte immer, der Large Hadron Collider wäre die Verkörperung von Ingenieurskunst. Doch es stellte sich heraus, dass der Large Hadron Collider eine Sammlung verschiedener Technologien aus verschiedenen Jahrzehnten ist – die neuesten an die älteren hinzugefügt. Zuerst war da das Synchro-Cyclotron. Dann wurde etwas Moderneres für den Partikelfluss draufgesetzt, um die Richtung der Magnetfelder kontrollieren zu können. Dann kamen ein Balkon dazu und ein Dachgeschoss, und so ging es immer weiter…
Heute ähnelt das alles einem Schienennetz: Zuerst wurden eine Strecke und der Bahnhof gebaut, dann kamen modernere Gleise mit Schwellen hinzu. Und jetzt sieht die CERN-Karte wie ein Zugplan aus. Zweige, Ringe (Beschleuniger) und Sackgassen (Fallen).
Also, was passiert nun im Large Hadron Collider?
Das hier: Sie nehmen ein Wasserstoffatom, reißen das Elektron ab, während das übrigbleibende, einzelne Proton zerschlagen und dann bei absurd hoher Geschwindigkeit (fast Lichtgeschwindigkeit, wenn wir Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie glauben) gegen ein anderes Proton geschleudert wird, das bei gleicher Geschwindigkeit in Gegenrichtung in einer parallelen Röhre (mehr dazu später) fliegt. Kurz, man zerbröselt zwei Substanzen und schlägt sie bei verrückter Geschwindigkeit aufeinander.
Versuchen Sie das bloß nicht zu Hause! Protonen abzuspalten ist beileibe nicht einfach; das muss wirklich effizient passieren und man braucht eine Menge elektrischer Energie (wenn Sie es zu Hause probieren würden, würden Sie nicht nur alle Sicherungen in Ihrem Haus, sondern in ihrer Straße und wahrscheinlich sogar im ganzen Viertel durchbrennen 🙂 ).
Aber zurück zur Physik…
An den anderen Zugbahnhöfen des CERN zerschlagen sie nicht nur arme Protonen und schleudern sie gegeneinander, sondern auch ganz andere Materialien. Blei-Ionen und -Neutronen werden auch verwendet.
Kommen wir noch zur mathematischen Verarbeitung der Phänomene am CERN. Und die ist echt erstaunlich!
- Während ein Proton den Collider entlangfliegt, kommt es durch mehrere Beschleuniger (Linear, Booster, noch ein weiterer und dann ein sieben Kilometer langer). Am Ende bewegt sich ein Bündel Protonen mit einer Geschwindigkeit von über 10.000 Umdrehungen pro Minute.
- Die Masse der Protonen in dem Bündel ist winzig, doch die Geschwindigkeit ist so hoch, dass die Energie des Bündels mit der Geschwindigkeit eines Zuges vergleichbar ist. „Bei diesen Geschwindigkeiten ist nicht wichtig, wie nahe wir an der Lichtgeschwindigkeit sind“, wurde uns gesagt. Es ist auf jeden Fall schnell. Dadurch arbeiten die Forscher an einer neuen wissenschaftlichen Basis für die Entwicklung einer neuen Theorie der atomaren Partikel, die weit über das Verständnis des Standardmodells hinausgeht. Für die Menschheit bedeutet das einen Fortschritt, wie ihn Computer für prähistorische Menschen bringen würden – damals hätte ihn keiner verstanden (überhaupt nicht), aber schließlich…
Die Wissenschaftskonzentration pro Kubikmeter Luft ist hier wirklich körperlich zu spüren. Als wir in das erste Gebäude gingen, war mein Kommentar: „Hier riecht es nach Wissenschaft.“ Die Antwort eines der Forscher war: „Ja, Wissenschaft riecht überall gleich.“
Das CERN ist ein wirklich toller Arbeitsplatz. Man spürt hier sofort eine bestimmte Aura – der Geruch von großen, neuen Ideen und kochenden Gehirnen. In einem parallelen Leben würde ich mich hierfür entscheiden. Super-Wissenschaft, Top-Technik und unglaubliche Innovation. Ein bisschen so wie in unserem Antivirus-Labor. Nun, vielleicht im nächsten Leben… ja, ich würde mich jederzeit für die Atomphysik statt die Programmierung von Computern entscheiden :).