19 Feb 2015
Das größte Gerät der Welt – Teil drei.
Zunächst eine kurze Zusammenfassung der ersten beiden Teile…
An der schweizerisch-französischen Grenze, in der Nähe von Genf ist das CERN zu finden. In seinen Gebäuden arbeiten moderne Alchemisten Wissenschaftler am Verständnis der fundamentalen Struktur des Universums. Sie zerschmettern Protonen und andere Partikel bei nahezu Lichtgeschwindigkeit und schleudern diese aufeinander, was verschiedene Arten von Quark-Gluon-Plasma sowie andere mysteriöse physikalische Phänomene erzeugt. Dann nutzen sie gewaltiges Hirnschmalz (Mathematik, Physik, Atomphysik, Quantenmechanik… und all das), Ingenieursfähigkeiten und Computerleistung, um die Ergebnisse der Kollisionen dieser fundamentalen Partikel zu verfolgen.
Wir waren vor kurzem hier und wurden ausführlich herumgeführt. Natürlich haben wir auch viele Fotos gemacht…
Der erste Beschleuniger, den wir gesehen haben, hat den Namen LEIR (Low Energy Ion Ring). Darin werden Blei-Ionen angesammelt. Hier kommen die Ionen vom Linearen Beschleuniger LINAC-3 zum LEIR, dann gehen sie durch einen PS-Ring, und dann in einen Komplex großer Ringe, unter anderem den Large Hadron Collider (LHC).
Und der LHC – tja, das ist mal ein mega-grandioses Gerät. Er ist fast 27 Kilometer lang und tief unter der Erde (aus praktischen Gründen, aber auch, dass atmosphärischer „Lärm“ nicht die Beobachtung der Kollisionsresultate stört). Er ist voll mit Tonnen spezieller Geräte zur Zerschlagung der atomaren Partikel, für deren Kollision und die Beobachtung der Vorgänge.
Die Partikel fliegen in Strahlen in einem Vakuum entlang zweier paralleler Röhren (in entgegengesetzte Richtung) und an bestimmten Stellen kollidieren Bündel der Partikel. Die Strahlen werden über ein starkes Magnetfeld, das durch supraleitende Magnete aufrecht erhalten wird, durch den Beschleuniger gelenkt. Supraleitfähigkeit wird durch die Verwendung von gekühltem, flüssigem Gel erreicht. Der ganze Prozess verbraucht etwa 180 Megawatt Strom, der aus Frankreich kommt.
Die Röhren des LHC sehen so aus:
Damit alles reibungslos läuft, musste unglaublich fortschrittliche Technik-Zauberei entwickelt werden. So ziehen sich die Eisenteile beim Kühlen mit dem Gel (auf -271°C – nur zwei Grad über dem absoluten Nullpunkt) etwas zusammen, so dass die Röhren mit speziellen „Muffen“ und/oder Krümmern ausgestattet werden mussten, um diese Größenänderungen auszuhalten.
Und dann muss das auf Supraleitfähigkeit gekühlte elektrische System des LHC mit den äußeren „terrestrischen“ Kabeln verbunden werden, die das System speisen und mit ihren 180 Megawatt aufheizen. Dabei muss die Energie übertragen werden – aber ohne, dass gleichzeitig die Hitze übertragen wird. Das ist nur ein Beispiel für die technischen Probleme, vor denen man beim Aufbau des LHC und dessen Inbetriebnahme stand. Es gibt noch viele andere…
1) Die ganzen Protonen, die im LHC zerschlagen werden, kommen von einem ganz normalen Wasserstoffatom. Pro Tag werden nur zwei Nanogramm Wasserstoff verwendet. Anders gesagt: Um nur ein Gramm Wasserstoff in die Röhre des LHC zu bekommen, müsste er eine Million Jahre in Betrieb sein!
2) Protonen sind bei voller Energie im LHC mit 0.999999991-facher Lichtgeschwindigkeit unterwegs. Jedes Proton fliegt den 27 Kilometer langen Ring über 11.000 Mal pro Sekunde entlang.
3) Die kinetische Energie, die zur Zerschlagung dieses klitzekleinen Materiestückchens verbraucht wird, entspricht der eines Hochgeschwindigkeitszuges oder eines Passagierflugzeugs.
4) Der Druck in den Röhren des LHC ist zehnmal geringer als auf dem Mond. Das nennt man ein „Hochvakuum“.
5) Der LHC-Tunnel hat eine leichte Steigung (nur 1,4%). Damit wird der Unterschied der darunter liegenden Erdstruktur ausgeglichen. Der Teil des Tunnels am Genfer See liegt 50 Meter unter der Erde, das französische Ende des Tunnels liegt 175 Meter tief.
6) Die Daten, die bei jedem der großen Experimente im LHC gesammelt werden, reichen, um jährlich etwa 100.000 DVDs zu füllen.
7) Die Supraleitfähigkeit der Magnete für die Leitung der Protonenbündel wird durch Kabel mit dünnen Niobiumfasern von nur 7 Mikrometer Dicke (0,007 mm) erreicht. Das ist zehnmal dünner als ein menschliches Haar. Und wenn wir all diese Niobiumfüllungen des LHC aneinanderreihen würden, würden sie sechsmal zur Sonne und zurück reichen, und es wäre immer noch genug übrig, um damit 75 Mal bis zum Mond und zurück zu kommen!
Ich denke, Sie verstehen: Dieses Ding ist komplex und kolossal.
Es kostet auch kolossal (und für die nächsten Jahre ist kein kommerzieller Gewinn in Sicht). Daher ist es nur normal, dass nicht nur ein Land für die Kosten aufkommt. Eine ganze Reihe Länder trägt zum CERN und dem LHC sowie anderen Kleinigkeiten bei. Auf diesem Poster hier sind alle Länder dargestellt, die zu einzelnen Teilen des Komplexes beitragen (beeindruckend ist Italiens Beitrag und natürlich der Beitrag des Landes mit den horizontalen weißen, blauen und roten Streifen in seiner Flagge 🙂 ).
Nicht toll: Die Flagge Großbritanniens fehlt 🙂
Leider durften wir nicht in den LHC-Tunnel selbst, da an unserem Besuchstag alle Systeme aktiv waren. Wir kamen nur in einen der 100 Meter tiefen Schächte, die zum Collider hinunterführen. Beim nächsten Mal müssen wir während einer Auszeit hierher kommen, um alles sehen zu können. Wenn er aktiv ist, darf aus Sicherheitsgründen niemand in den Tunnel.
Wo wir gerade von Sicherheit sprechen…
Die Beschleuniger (vor allem die großen) sind äußert komplizierte und extrem teure Geräte. Sie können der Welt keinen Schaden zufügen (außer ein mehrere Meter großes Loch hinein zu brennen), aber sie können sich selbst beschädigen. Suchen Sie im Internet einfach einmal nach „Hadron Collider crash“.
Deshalb sind an den Geräten und um die Geräte herum verschiedene mehrstufige Sicherheitsmaßnahmen installiert. Alles ist mit Sensoren bedeckt, es gibt verschiedene Sperrsysteme, Kontrollen, rote Lampen, „Stop! Verboten!“-Schilder und so weiter. Wenn plötzlich etwas schief läuft, greift im Collider ein Notfall-Stopp, der die Neutronen-Bündel in vier Runden auslöscht (also innerhalb einer 2.500stel Sekunde!).
Also ja, insgesamt bin ich zuversichtlich, dass die physikalische Infrastruktur des CERN in sicheren Händen ist. Beim Computernetzwerk, das die unendlichen Datenmengen sammelt und verarbeitet – bin ich nicht so zuversichtlich. Eigentlich sogar das Gegenteil.
Das CERN hat ein gigantisches Datenzentrum, mit dessen Hilfe viele großartige IT-Erfindungen in die Welt kamen (habe ich schon das WWW erwähnt?) und es gibt auch ein großes Grid-System für verteilte Computerarbeit. Insgesamt ist die Computerisierung hier auf höchster Stufe und ohne all diese Computer-Infrastruktur wäre keines der teuren physikalischen Experimente möglich. Und darum brauchen die Mega-Computer und Netzwerke des CERN Schutz vor all den verschiedenen Schadprogrammen und Hacker-Angriffen, die dauernd auf das CERN gestartet werden. Leider ist das die Realität des aktuellen Cyber-Lebens. Und da kommen wir ins Spiel!
Jetzt noch ein paar CERN-Insider-Witze…
Denn es zeigte sich, dass auch Wissenschaftler Menschen sind und Humor haben… Hier der Beweis:
Also sozusagen… „Strahl – in diese Richtung“. Nur falls sie die Richtung für die Partikel-Bündel falsch in Erinnerung haben.
https://instagram.com/p/yrQ7B2OiVI/
https://instagram.com/p/yv4p7huif6/
Antimaterie? Verdammt. Das geht ins Beängstigende. Das Lieblingsmaterial von Kosmonauten und dem Militär. Ist ja auch klar: 1 Gramm Antimaterie + 1 Gramm Materie = so viel Bums wie eine normalgroße Atombombe.
Aber es geht nicht um Militarisierung und andere, beängstigende Negativität.
OK, die Waffen der Zukunft werden hier erfunden, aber auch neue Energiequellen für die Zukunft. Und ich bin mir sicher, das hier noch andere nützliche und positive Erfindungen gemacht werden – und das zufällig, wie so oft bei wissenschaftlichen Experimenten. Man sucht nach dem einen und findet etwas komplett anderes und unerwartetes, das noch viel wertvoller ist, als das, nachdem man gesucht hat. Positive Nebenwirkungen. Ein bisschen wie Penicillin :).
Über dem Hangar sah ich Vögel fliegen. Ich dachte, das müssen Antivögel sein. Und die Katze, die ich gesehen habe, war ganz klar eine Antikatze.
Was kann man noch Positives berichten? Uns wurden freundlicherweise ein paar Kilo Antimaterie gegeben! Leider durften wir diese nicht ins Flugzeug mitnehmen, nicht einmal in den Laderaum.
Nein. Insgesamt werden am CERN nur fünf bis zehn Antiprotonen pro Sekunde registriert. Und wenn wir Antielektronen hinzufügen, bekommen wir natürlich Antiwasserstoff. Aber bei so einer Geschwindigkeit würde die Erzeugung von einem Gramm Antiwasserstoff… die Lebensdauer des Universums dauern.
Also gut, Leute. Das war’s zum CERN und seinen unglaublichen Beschleunigern.
Tschüss erstmal!…