PROVINZ AM MEER.

„Sollten Sie in einem Weltreich geboren worden sein,

ist es am besten, in einer entlegenen Provinz am Meer zu leben.“

Joseph Brodsky, Briefe an einen römischen Freund

Wunderschönen guten Tag all meinen Lesern. Ich war einige Zeit weg und hatte das Glück, drei Tage lang den Maifeiertag am westlichen Rand Russlands zu verbringen: in Kaliningrad, der früheren preussischen Stadt Königsberg. Aber da ich den Klang und die Assoziation des Namens Kalinin nicht so richtig mag, werde ich den Ort einfach Königsgrad nennen.

Der alte Brodsky hatte recht. Er sagte, es sei „am besten, in einer entlegenen Provinz am Meer zu leben“. Ich habe das entlegen herausgenommen, weil, nun ja, Königsgrad (wo er diese Worte geschrieben hat) heutzutage nicht gerade als entlegen bezeichnet werden kann, da es über (regelmäßige) Flüge, Züge, Autos, Telekommunikation und alles andere mit dem Rest der Welt verbunden ist.

Als ich mich über den Ort informierte, wie ich es vor einer Reise immer mache, gab ich „MOW–KGD“ (das bedeutet: Moskau, alle Flughäfen – Khrabrovo (örtlicher Flughafen)) in die Suchmaschine ein. Es stellte sich heraus, dass auf dieser Route täglich elf oder sogar mehr Flüge verkehren. Hmmm, ich frage mich, wie viele es zum Beispiel auf der Route Boston–New York sind? Ich habe es herausgefunden: 33+ – dreimal so viele. KUL–SIN (Kuala Lumpur–Singapur): 38+; Peking–Shanghai: 49+; Tokio–Osaka: 57+… Ich könnte diesen Vergleich noch lange weiterführen, aber mindestens elf tägliche Flugverbindungen in eine Region, die nur etwa eine Million Einwohner hat, ist nicht gerade schlecht.

Also, Brodsky und Königsgrad…

Laut verschiedener respektierter Brodsky-Liebhaber, wurden seine Postkarte aus der Stadt K und viele seiner anderen Werke hier geschrieben – unter dem Einfluss des guten Klimas und anderer beruhigender und positiver Aspekte dieses Orts. Es ist möglich, dass auch „Briefe an einen römischen Freund“ hier entstanden ist.

Swetlogorsk. Schöner Name, schöner Ort:

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Nachdem ich den Ort persönlich gesehen habe, muss ich sagen, dass Brodsky recht hatte: Königsgrad und seine Umgebung sind eine ganz besondere Ecke der Welt. Kein zu raues Klima, frische und saubere Meeresluft (die meist mit einem nordwestlichen Wind aus dem Baltikum kommt), schöne Natur und obendrauf die Kurische Nehrung – einfach spitze. Und das Essen ist hier ebenfalls toll. Zudem gibt es hier noch ein weiteres meiner liebsten Naturereignisse: atemberaubende Sonnenuntergänge. Es gibt reichliche, neue und gut ausgebaute Straßen… Ich wollte gar nicht mehr gehen!

Wir haben in drei Tagen nicht so wahnsinnig viel gesehen, da wir im höchsten Chill-Gang lebten; aber egal, hier kommen die Höhepunkte.

Lesnoi: ein Minidorf an der Kurischen Nehrung. Wir sind direkt vom Flughafen hierher gefahren, haben die außergewöhnlichen Sanddünen besucht und dann ein reichhaltiges und leckeres Mittagessen genossen. Unsere Gastgeber – KL-Kollegen, die hier leben – sagten uns, dass der Geschmack des Essens hier vom täglichen Wetter und der Luft beeinflusst werden, die an diesem Tag windig und sonnig beziehungsweise salzig waren. Vielleicht stimmt die Theorie: Es war auf jeden Fall sehr lecker und man musste nicht nachsalzen – so frisch wie die umgebende Vegetation!

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Hier der Sonnenuntergang in Swetlogorsk. Atemberaubend!

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Als nächstes: Segeln am Frischen Haff. Beeindruckende Aussichten rechts und links, die niemals langweilig werden: manche sind natürlicher Natur, andere sind menschengemachter Natur. Ein Beispiel: Der große Hafen ist eng mit Lastkränen vollgepackt. Kampfschiffe und Zerstörer werden ebenfalls hier gebaut (für die indische Marine). Dann gibt es auch das Gegenteil – ein regelrechtes Naturschutzgebiet. Dann gibt es weiteres Menschengemachtes: neu gebaute Fabriken. Dann wieder Natur: Schwäne und andere Vögel. Interessant, da niemand auf den anderen Einfluss zu nehmen scheint. Und alles ist irgendwie ganz ordentlich.

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kaliningrad-russia-13Da ist die Akademik Mstislaw Keldysch, geparkt in K-grad

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Das ist der Zerstörer „Nastoiychiwi“ (hartnäckig). Alt, aber ein sehr überzeugendes Beispiel militärischer Ingenieurskunst:

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Anything at all on board made bronze or copper is duly buffed to a gleaming shine

Alles an Bord, das aus Bronze oder Kupfer ist, wird ordnungsgemäß aufpoliert.

Der Zerstörer wird mit einem Dampfmotor angetrieben! Ich bin nicht sicher, warum es kein Dieselmotor ist. Wahrscheinlich hat das etwas mit der Zuverlässigkeit, der einfachen Bedienung und der Wirtschaftlichkeit zu tun.

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Als nächstes stand die Banya auf dem Programm. Erwarten Sie keine Fotos davon! Aber dafür gibt es ja Bloomberg, die neue Verschwörungstheorien aufstellen können :). Ich sage nur, dass die Banya in Königsgrad sehr schön ist.

Noch ein paar Worte zur Kurischen Nehrung. Die offensichtlichsten Stellen für den Besuch der Sandflächen, der Tierwelt und der Vegetation sind die Efa-Düne und die Muller-Höhe. Allerdings sind beide im Grunde Touristenfallen. Der echte Reisende geht dorthin, wo der Sand wilder und weniger photoshopped ist – zu den (leicht beigen) Mars-ähnlichen Gegenden mit stärker tobenden Stürmen.

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Es gibt dort einen speziellen Ort namens „Tanzender Wald“. Und man sieht sofort, warum er so genannt wird. Zwischen den normalen, geraden Pinien und Fichten stehen seltsam geformte Bäume, die so eine Art Hexentanz aufzuführen scheinen. Niemand kann dieses Phänomen glaubwürdig erklären: ein unglaubliches Rätsel! Das Ganze hat etwas seltsam verführerisches. Ich selbst habe ganz plötzlich nach den knorrigsten davon gesucht!
I see the strong Henry Moore influence at once )

Ich sehe da sofort einen starken Einfluss von Henry Moore 🙂

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Hier ein ornithologisches Observatorium. Ein sehr altes, das im Jahr 1901 gegründet wurde:

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Kleine Kinder lieben die Gegend hier – den Sand, die Wälder… und die Wildschweine am Straßenrand, schnaubend, knurrend und grunzend!

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Fort Nr. 5. Groß, militärisch, robust. Beeindruckend: sowohl die Qualität der Befestigungsanlagen, als auch die Voraussicht, die in die Kommunikation gelegt wurde. Und die alte deutsche Belüftung funktioniert heute noch – wenn man tief in diesem Komplex einatmet, ist das genau wie wenn man es an der frischen Luft tut, kein Muff, außer ganz weit unten in den alten unterirdischen Teilen der Anlage. Die lange, reichhaltige Geschichte dieses Orts kann man auch im Internet nachlesen. Für diesen Blog-Beitrag ist sie viel zu lang.

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Der Muschkino-Safaripark: Ich würde ihn eher einen ländlichen Park nennen. Felder, Farmtiere, Wege und verschiedene landwirtschaftliche Gebäude, die in Bewirtungs- und Freizeiträume umgewandelt wurden. Alles renoviert, repariert, frisch gestrichen und herausgeputzt. Ein schönes Anwesen. Das Essen ist lecker und es gibt alle möglichen Wege, die einen überall herumführen. Für Kinder gibt es einen Spielplatz, von dem man sie nicht einmal für die Nachspeise herunterlocken kann. Und für die Eltern gibt es Tontaubenschießen, Angeln sowie Lama- und Hirschfütterung. Schön.

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Das Symbol von K-grad: Der Königsberger Dom. Am Grab von Immanuel Kant – der einige Jahre lang russischer Staatsbürger war – werden Trinkopfer-Rituale abgehalten, damit Sie’s nur wissen!

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Doch jetzt ist es leider schon Zeit, nach Moskau zurück zu fliegen. Auch wenn ich eigentlich noch nicht will. Immerhin ist es „am besten, in einer entlegenen Provinz am Meer zu leben“ :).

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Alle Fotos gibt’s hier.

 

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