Knesset-Tour vor dem Passahfest

Eine weitere Woche mit verschiedenen Flugzielen — dieses Mal: Moskau—LondonJerusalem—Moskau. Wie üblich: Konferenzen, Vorträge, Meetings mit Geschäftspartnern und Kunden. Nichts als Arbeit, Arbeit, Arbeit … aber für ein kleines bisschen Tourismus blieb Zeit: ein Besuch in der Knesset.

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Die Knesset ist das israelische Parlament — wahrscheinlich eines der energischsten, heterogensten und skandalumwittertsten Parlamente der Welt. 120 Mitglieder mit höchst verschiedenen politischen und religiösen Haltungen sowie Toleranzgraden und Freizügigkeit. Für viele ist es die ungenierteste Politik-Realityshow weltweit: ein aufregendes Mosaik, wie das israelische Volk an sich … aber das ist eine andere Geschichte — die umfangreich im Internet behandelt wird. An dieser Stelle möchte ich stattdessen von ein paar Geschichten und Vorfällen berichten, die hier passiert sind, wie mir Leute erzählt haben, die es selbst miterlebt haben. Aber später mehr dazu …

Leider konnten wir während unseres Aufenthalts keine Sitzung live miterleben, weil wir an einem arbeitsfreien Tag in der Stadt waren. Tatsächlich konnten wir nicht einmal die Versammlungshalle betreten, da alle mit den Vorbereitungen der bevorstehenden Passah-Festivitäten beschäftigt waren. So gut wie alles war wegen Aufräum- und Reinigungsarbeiten geschlossen, damit an dem wichtigen jüdischen Feiertag alles exzellent aussehen konnte. Sogar die Hotelbar schloss um 21 Uhr!

Da unsere eigentliche Knesset-Tour dadurch ein bisschen verkürzt wurde, brachen wir auf, um über das Parlamentsgelände und vorbei an ein paar Nebengebäuden zu bummeln. Eins davon war die Chagall State Hall neben der Versammlungshalle. Ich werde nicht alles wiederholen, was der Fremdenführer uns dazu gesagt hat — Sie finden eine Menge Bilderteppiche (Gobelins) der Halle im Internet.

Die Knesset-Kantine. Vergessen Sie die Versammlungshalle — das hier ist der Ort, an dem die eigentlichen politischen Entscheidungen getroffen werden — zumindest behaupten das einige.

jerusalem-israel-7Knesset-Komitees — einschließlich eines zur „Planung und Vorbereitungen für Erdbeben“!

Ach du meine Güte! Ich weiß, dass hier regelmäßig beträchtliche seismische Aktivitäten vorkommen (5-6 auf der Richterskala), aber ein ganzes Parlamentskomitee?! Ich frage mich, ob es in Japan auch eins gibt …

Folgendes wurde mir von einem einheimischen (anonymen) Parlamentsjournalisten mitgeteilt, der viele politische Debatten live gesehen hat, während er im Pressebereich der Versammlungshalle saß. Ich zitiere:

„Die Bandbreite der Meinungen über die israelische Knesset reichen von ‚idealer Parlamentarismus‘ bis hin zu ‚wütendes Feuer im Irrenhaus, das überflutet wird‘! Aber ganz egal welche Meinung Sie vertreten, wenn man einen kurzen Blick auf die Tagesordnungen der Knesset wirft — sagen wir seit dem späten 20. Jahrhundert —, erkennt man, dass auch nach 68 Jahren immer noch eine Reihe von eingefahrenen, absurden und banalen Angelegenheiten debattiert werden: ‚Zwei Juden — und drei Meinungen‘, ‚Ich bete in dieser Synagoge, ich habe in diese noch nie einen Fuß gesetzt‘ etc.

Die Anzahl der Mehrheitsregierungen in Israel kann an einer Hand abgezählt werden. Sie kommen nur in absoluten Gefahrensituationen zustande. Seit Jahrzehnten ist es keiner Partei gelungen die Mehrheit zu gewinnen, das heißt 61 der 120 Mitglieder. Deswegen wurden innerhalb dieser Mauern, die von Karavan und Chagall mit dem Geld von Rothschild geschaffen wurden, undenkbare Koalitionen von genau entgegengesetzten politischen Parteien eingegangen. In der Regel wird in all diesen Koalitionen von kleinen Gruppen aus 3 oder 4 Mitgliedern der Ton angegeben und diese kleinen Gruppen sind extrem … launischer Natur; sie bestehen meist aus der kommunistischen Partei, dem Vereinigten Thora-Judentum und der Tzomet.

Heutzutage sind die 120 Mitglieder in 10 (zehn!) Parteien und Blöcke aufgeteilt. Die Zionistische Union zum Beispiel besteht aus zwei Parteien, die sich zusammengeschlossen haben. Auf der Gesamtliste haben sich ganze 4 Parteien zusammengeschlossen, die die Interessen der ethnischen Araber repräsentieren. Die Interessen der früheren UdSSR-Bürger werden von der Partei mit dem prätentiösen Namen Jisra’el Beitenu (Unser Zuhause Israel) vertreten und die Einwanderer des Maghreb werden durch die Partei Shas (Sephardische Tora-Wächter) repräsentiert. Diejenigen, die nicht die Tora ‚bewachen‘, zahlen Beiträge an die Organisationskomitees anderer Parteien.

Demnach besteht dieses Kaleidoskop aus vielen verschiedenen Farbtönen und einem ganzen Spektrum an politischen Nuancen — Allianzen, Parteien und parteilosen Politikern — was bedeutet, dass die Knesset ein Ort des konstanten und bitteren Kampfes ist, dem kein anderes Parlament der Welt gleichkommt.

Noch eine Sache, für die die Knesset berühmt-berüchtigt ist, ist die anschauliche Sprache, die bei den Debatten zutage kommt. Einmal fragte ein Parlamentsmitglied ein anderes: ‚Bist du auf Drogen?‘ — das wurde weltweit in der Presse gedruckt. Aber wenn zum Beispiel der frühere Ministerpräsident, Vorsitzende der Arbeiterpartei und Friedensnobelpreisträger Jitzchak Rabin in einer Rede sagt, dass Jassir Arafat, ebenfalls Friedensnobelpreisträger, ‚uns echt auf die Eier geht!‘, wurde dies natürlich in Hunderte Sprachen übersetzt und die Titelseiten der Zeitungen wurden mit dieser Schlagzeile geschmückt.

Übrigens wird der reizende Ausdruck ‚Eier‘ sehr oft in der Knesset verwendet, auch wenn dessen Nutzung strafbar ist. Zum Beispiel wurde Taufik Zayad, dem arabischen Mitglied der Kommunistenpartei und Bürgermeister von Nazareth, für einen Monat sein Recht in der Versammlungshalle zu sprechen entzogen, nachdem er den Habicht-Führer und pensionierten Militärgeneral Rehavam Ze’evi (mit Spitznamen Gandhi) anschrie: ‚Ich hab dich bei den Eiern, Gandhi! Ich hab euch alle bei den Eiern!‘ In einem Presseinterview am selben Nachmittag war er so klug, die Namen derer zu nennen, die er ‚bei den Eiern hat‘; hätte er das nicht getan, wäre die Strafe erheblich schwerer ausgefallen.

Den anschaulichsten Streit, den ich in der Knesset miterlebt habe, war zwischen Jael Dajan, der Tochter von Mosche Dajan, und Josef Ba-Gad, Rabbi der nationalistischen Partei Moledet. Ba-Gad stieß Dajan mit dem Finger an und sagte, dass vor ihm die zweite Cicciolina stünde. Woraufhin Jael Dajan — in der Sprache der Heiligen Schrift! — antwortete: ‚Wissen Sie was? Sie können sich einen Propeller in den Arsch schieben und verdammt nochmal von hier verschwinden!'“

Ende des Zitates. Beeindruckend.

Danach ging es zurück zum Flughafen. Einige Stunden später konnte ich diese schöne Aussicht von Tel Aviv genießen:

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Shalom Freunde!

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