31 Okt 2014
Dreimal Kurilsk auf den Kurilen – Ihr Reiseführer.
Die Kurilen sind öde – ganz einfach. Extremes Wetter, schlechte Kommunikationsverbindungen mit dem Kontinent, ein hundertprozentiger Preisaufschlag auf alle importierten Waren (so ziemlich alles wird vom russischen Festland importiert) und die konstante Bedrohung durch Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche, Erdbeben und Tsunamis!
Man muss schon recht hart sein, um hier zu überleben; und noch härter, um diese Gegend wirklich zu lieben. Allerdings gibt es auch Dinge, die man lieben kann; man muss nur wissen, wo man suchen muss…
Die gesamte Landmasse der Kurilen liegt nur ein kleines bisschen unter der von Israel oder Slowenien, und ist etwa halb so groß wie Belgien. Allerdings leben hier nur etwa 20.000 Menschen, von denen die Hälfte in drei Städten zu finden sind: (i) Sewero-Kurilsk (Nord-Kurilsk), (ii) Kurilsk und (iii) Juschno-Kurilsk (Süd-Kurilsk). Alles sehr logisch.
Interessanterweise haben die ersten beiden den offiziellen Status einer Stadt, obwohl die Zahl von deren Einwohner zusammengenommen kleiner ist als die der dritten, die offiziell nur als „städtische Ansiedlung“ gilt (ist das logisch?). Es gibt auch noch einige winzige Dörfer sowie saisonale Fischerorte, die nach ihrem Winterschlaf im Sommer zum Leben erwachen.
Doch wie ist es, auf den Kurilen zu leben?
Nun, ich habe dort nie gelebt, aber ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach ist – vor allem nicht für alle, die das moderne, städtische Leben gewohnt sind, bei dem man fast alles in Reichweite hat. Zudem haben wir das Leben auf den Kurilen nur kurz ausprobiert – und das in einem ungewöhnlich milden Sommer. Wie auch immer, das hier kann ich darüber sagen:
Stadt 1: Sewero-Kurilsk auf Paramuschir.
Wenn man entlang der Inselkette der Kurilen nach Norden reist, kommt man als erstes nach Sewero-Kurilsk auf der Insel Paramuschir. Man kommt von Petropawlowsk-Kamtschatski, der Hauptstadt der Kamtschatka-Halbinsel, in einer Nachtfahrt mit dem Schiff hin. Mich hat das direkt an den Moskau-Helsinki-Zug erinnert: Man steigt am Abend ein, schläft gut (oder nicht – und hat dafür eine Party-Nacht) und ist am nächsten Morgen am Zielort (ich hab das Ende der 1990er Jahre öfter gemacht).
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Es gibt keine regelmäßigen Flüge, da Sewero-Kurilsk keinen Flughafen hat. Ich bin nicht sicher, ob man von Kamtschatka mit dem Hubschrauber auf die Insel fliegen kann; aber das wäre auch sehr teuer. Es gibt dort aber einen Hubschrauberlandeplatz; also fliegen vielleicht auch welche hin…
Man kann nicht einfach so aus einer Laune heraus in Sewero-Kurilsk auftauchen – oder irgendwo anders auf den Inseln. Die Kurilen sind Grenzland, also braucht man vorher die Genehmigung der Behörden. Und wenn man dann ankommt, ist das erste, dass man sich bei den örtlichen Behörden registrieren muss.
Und so begann unsere Kurilen-Reise: Ein strenger Grenzbeamter wartete auf uns am „Punkt X“ am vulkanischen Strand. Er prüfte jeden unserer Gruppe mit seiner Liste und verglich sorgfältig die Fotos und Namen. Einige unserer Gruppe waren von seiner felsenfest mürrischen Art irritiert und fingen an, Späße zu machen und etwas zu sticheln. Keine gute Idee. Ohne jeden Anflug einer Emotion sagte er barsch „Ersparen Sie mir den Sarkasmus“ und sah uns so eindringlich an, dass uns klar war, dass wir ihm besser folge leisten sollten!
Ich fürchte, das Foto ist etwas alt, aber das bin wirklich ich, ehrlich 🙂
Alle Listen, Pässe und Gesichter passten zusammen, die Formalitäten wurden beendet und wir konnten in den Bus einsteigen, der uns in die Stadt fuhr.
Doch das Schicksal hatte beschlossen, dass der Tag nicht so toll für uns sein sollte. Denn kurz nachdem uns der mürrische Grenzbeamte so nett begrüßt hatte, haben wir herausgefunden, dass Sewero-Kurilsk vor über 60 Jahren von einer tragischen Naturkatastrophe heimgesucht worden war. Die Stadt war ursprünglich auf der (pazifischen) Meerseite der Insel gegründet worden. Keine gute Idee. Im Jahr 1952 spülte ein Tsunami die Stadt weg, fast die Hälfte der Einwohner kam dabei ums Leben. Die Tragödie wurde aufgrund sowjetischer Tradition geheimgehalten und wurde erst Anfang der 1990er Jahre, nach dem Zusammenbruch der UdSSR, bekannt. Nach dem Tsunami wurde Sewero-Kurilsk in sicherer Distanz zur Küste neu aufgebaut. Bis heute ist die Erinnerung an die Katastrophe lebendig.
„Tsunami-Gebiet. Im Fall eines Erdbebens in höhere Gebiet zurückziehen!‘
Die verwüstete alte Stadt bietet ein trostloses Bild: zerstörte Gebäude, Schiffswracks, die von den riesigen Wassermassen an Land gespült wurden, überschwemmte oder überwucherte Straßen und andere Überbleibsel der Katastrophe. Alles dem Rost und Verfall überlassen. Keine Aufräumaktion. Ein erschütternder Anblick, vor allem im Zwielicht kalten Nieselregens (es hat fast den ganzen Tag geregnet).
Das neue Sewero-Kurilsk ist erstaunlich einladend. Nicht gerade der lebhafteste Ort der Welt, aber viel besser als erwartet.
Es gibt Läden, einen Schönheitssalon, Spielplätze, einen Kindergarten, eine Schule, Denkmäler, eine Kirche und eine neu renovierte Ambulanzklinik… sogar ein Hotel für nicht allzu anspruchsvolle Gäste. Sicher, es hat nicht den Komfort, den viele von uns gewohnt sind, aber es gibt so ziemlich alles, was man für das tägliche Leben braucht.
Zieht besser die Gummistiefel an, Kinder 🙂
Die Winter hier sind nicht nur kalt, sondern auch sehr stürmisch und schneereich. Für die Einheimischen starten normale Wintermorgen oft mit einem gesunden und unausweichlichen Fitnesstraining: Den Schnee aus Ihrem Haus hinaus schaufeln. Hier ein Foto aus LKs persönlichem Archiv. Er hat sich den ganzen Tag Zeit genommen, um uns überall auf der Insel und dem Ebeco-Vulkan herumzuführen:
Manche Straßen hier bestehen aus verstärktem Beton, aber die meisten sind nur Feldwege. Autos sind hier eher SUVs, die mit der schlechten Straßensituation umgehen können, und die meisten davon sind alte, rechtsgesteuerte Import-Autos aus Japan – inklusive strapazierfähiger, geländegängiger Reifen. Auch Quads sind recht beliebt.
Manche Straßen hier bestehen aus verstärktem Beton, aber die meisten sind nur Feldwege. Autos sind hier eher SUVs, die mit der schlechten Straßensituation umgehen können, und die meisten davon sind alte, rechtsgesteuerte Import-Autos aus Japan – inklusive strapazierfähiger, geländegängiger Reifen. Auch Quads sind recht beliebt.
Überraschenderweise gibt es hier ein Wasserkraftwerk! Es wurde kürzlich renoviert und es führt eine Betonstraße dorthin. Das Kraftwerk summt, also scheint es zu arbeiten.
Paramuschir ist eine Vulkaninsel und es gab einmal den Plan, die natürliche, geothermische Energie zu nutzen, um die Häuser zu heizen. Zu Sowjetzeiten wurden mehrere Versuche unternommen, die Quellen anzubohren, doch daraus wurde nichts und so ist nach wie vor Kohle die Hauptenergiequelle auf der Insel.
Der Vulkanismus der Insel trägt auch nicht gerade zur örtlichen Ökologie bei. Die Einwohner sagen, die Schwefeldämpfe und Vulkanasche sind schuld, dass die Wasserqualität etwas unter den Reinheitsstandards liegt. Ich kann nicht sagen, dass ich das bemerkt hätte – der dauernde Wind und Regen störten mich dagegen mehr.
Doch auch wenn es einiges gibt, mit dem man unzufrieden sein kann, so sind die Einwohner doch außergewöhnlich freundlich. Das kommt vielleicht davon, wenn man zusammen auskommen und sich in der rauen Umgebung gegenseitig helfen muss. Die Menschen hier haben verglichen mit dem Festland ein ganz anderes Leben, aber ich hatte den Eindruck, dass sie alle den Ort sehr lieben und extrem stolz sind, hier zu leben, und es genießen, diese Einstellung den Bürohengsten aus Moskau zu zeigen :).
Was tun die Einheimischen für ihren Lebensunterhalt? Es gibt drei Hauptberufe: Fischerei, Fischerei und – zur Abwechslung – Fische fangen. Aber es gibt auch noch ein Zollbüro und einen Grenzposten. Und das gilt für alle bewohnten Kurilen-Inseln.
Auf dem riesigen Vulkan Ebeco waren keine anderen Touristen – nur wir. Hier gibt es im Grunde keinen Tourismus. Das Klima ist rau, der Regen ist kalt und der starke Wind weht einem ständig um die Ohren. Und auch bei unserem Besuch gab es keine Ausnahme: Wir stiegen recht schwindlig und zitternd auf den Vulkan.
Leider hatten wir keine Zeit mehr, die Stadt genauer zu erkunden, daher sind meine Erinnerungen an Sewero-Kurilsk knapp und verschwommen. Ich denke, beim nächsten Mal wäre es gut, ein paar Tage im „Fischerhaus“-Hotel zu wohnen, um eine echte Sewero-Erfahrung zu machen. Immerhin gibt es hier mehr zu sehen als nur den Ebeco.
Das „Fischerhaus“-Hotel. Ganz klar ein Fünf-Sterne-Hotel.
Da gibt es zum Beispiel die benachbarte Insel Schumschu, die (wenn es sonnig ist) wahnsinnig malerisch sein soll. Sie ist auch die einzige flache Insel der gesamten Kurilen-Kette.
Aber nein. Diesmal mussten wir zu unserer nächsten Kurilen-Insel weiter. Wobei einige grundsätzlich unbewohnte Inseln auf dem Weg lagen, bevor wir einige Tage später wieder auf eine bewohnte kamen:
Stadt 2: Kurilsk, auf Iturup.
Kurilsk – die drittgrößte Stadt der Kurilen liegt zwischen Sewero-Kurilsk (Nord) und Juschno-Kurilsk (Süd).
Wir sind an einem wirklich ruhigen, sonnigen Morgen auf Iturup angekommen, also hat uns die Insel von Anfang an gefallen. Und es wurde noch besser – wir fanden den ersten Supermarkt, den wir in zehn Tagen gesehen haben, und in den Regalen stand BIER. BIEEEER!
Wie auch auf Paramuschir, dreht sich Iturups Arbeitsleben vor allem um das Fischen. Allerdings gibt es noch etwas anderes ganz interessantes – Rhenium. Laut Wikipedia sind die einzigen weltweit wirtschaftlich kostendeckenden Vorkommen des Metalls genau hier zu finden. Hmmm, heißt das, dass das Rhenium in Chile und den USA mit Verlust abgebaut wird? Eine weniger triviale Frage ist, warum Rhenium auf Iturup immer noch nicht industriell abgebaut wird, vor allem, da die Weltproduktion bei nur etwa 60 Tonnen pro Jahr steht und ein Kilo bis zu 10.000 Dollar einbringen kann. Der Kudryavy-Vulkan hier auf Iturup spuckt ganz alleine mehr als die weltweite Jahresproduktion aus. Und trotzdem wird es nicht industriell abgebaut. Echt?
Die Wohnsituation ist hier ähnlich der in Sewero-Kurilsk: Manche Häuser (vor allem in den Außenbezirken der Stadt) scheinen bald zusammenzubrechen; wie sie im Winter die Wärme halten, werde ich wohl nie wissen. Doch in der Innenstadt ist alles renoviert, man sieht helle Farben und es gibt gute Straßen und Bürgersteige – ein Vorbild von einer Stadt.
Lilyhammer-Bordstein? Nein – Kurilsk-Bordstein
„Büro für Heiratsregistrierung“!
Es stellte sich heraus, dass die kleine Insel zwei Flughäfen hat – für ~7.500 Einwohner! Ich denke, das ist ein Weltrekord. Der Iturup International Airport wurde erst vor einem Monat eröffnet.
Wie in Sewero-Kurilsk, hatten wir auch in Kurilsk nicht viel Zeit für touristische Dinge. Nach einem kurzen Bad in heißen Wasserfällen ging es schon zurück auf die Athen, um die Segel für die nächste Insel zu setzen: Schikotan – die Fahrt ging weiter in Richtung des nächsten Kurilsk – Juschno-Kurilsk…
Stadt 3: Juschno-Kurilsk auf Kunashir.
Die einzige bewohnte Kurilen-Insel, auf der wir länger als eine eine Nacht waren, ist Kunaschir – wir waren in Juschno-Kurilsk. Und auch wenn Juschno-Kurilsk wie schon erwähnt, nicht den Status einer Stadt hat, ist sie doch de facto die Hauptstadt der Inseln. Das ist wieder die kurilische Logik!
Wie bei den anderen Hauptinseln, lebt die Bevölkerung vor allem vom Fischen, zudem gibt es einen Haufen Zollbeamte und Grenzwachen – und eine Militärbasis. Und hier findet man auch Touristen – aber nur hin und wieder: jährlich kommen ein paar Tausend. Die Einheimischen sagen, das ist genug. Wären es mehr, würde es ein Gedränge geben und die interessanten örtlichen Naturschauplätze sind nur für kleine Gruppen ausgelegt!
Renovierungen gibt es auch hier, genau wie frisch angelegte Straßen. Wieder eine Boom-Stadt: Sie bauen ein geothermales Kraftwerk, eine neue orthodoxe Kirche wurde bereits errichtet, neue Wohnhäuser sind fast fertig. Aber auf der anderen Seite ist die Stadt nach wie vor sehr traditionell und rustikal – manchmal sieht man in der Stadt Kühe grasen, fast wie im ländlichen Indien :).
Wir planten, zum Abendessen in das Restaurant zu gehen, das wir tagsüber im Stadtzentrum gesehen hatten. Doch als wir dort ankamen, wurde uns gesagt, dass es eigentlich ein Nach-Abendessen-Lokal sei – Nach-Abendessen bedeutet, es gibt kein Abendessen, sondern nur Unmengen von Alkohol, also… „bitte, wenn es Ihnen nichts ausmacht… ziehen Sie sich zurück!“. Kundschaft wird hier ganz schön wertgeschätzt, haben wir uns gedacht!
Aber es war schließlich doch ein Segen, denn das Café in unserem Hotel stellte sich als wahrer gastronomischer Schatz heraus. An beiden Abenden wurden uns dort alle möglichen interessanten, lokalen Fischgerichte serviert: Muscheln von der Größe einer Handfläche, ähnlich massive Shrimps und Krabben… gar nicht zu sprechen von den mehreren Kilo Kaviar.
Was kann ich Ihnen noch über die Stadt sagen?
Man kann sagen, dass es hier im Süden insgesamt weniger rau ist, als in den etwas extremeren Stadt-Cousins im Norden der Inselkette. Man sieht nicht nur Off-Road-Autos, die Straßen selbst sind wirklich gut und das Leben scheint hier ruhiger und weniger bedrohlich zu sein – vielleicht sogar zivilisierter. Vielleicht hat das alles mit dem weniger harten Klima zu tun? Könnte gut sein. Das tägliche Leben ist physisch und spirituell komfortabler.
Wieder dieses verdammte Navigationssystem.
Und das war’s mit den kurilischen Städten – mehr gibt es nicht!
Nun wissen Sie ein bisschen, was Sie in den kurilischen Städten erwartet, falls es Sie einmal in diese abgelegene Ecke der Welt verschlagen sollte, was ich Ihnen ausdrücklich empfehle :).
Bis später, Leute!
Sie waren noch nie auf den Kurilen? @e_kaspersky erzählt, was man über die drei großen „Städte“ wissen mussTweet