Die Motorradtypen aus Brasilien durchqueren Sibirien

Ende Juli war ich geistig bereits im Urlaub in Altai. Es war warm, es gab die übliche Saison-Windstille im Geschäft und die allgemeine Gemächlichkeit und Summerferienstimmung. Jedoch fand ich eines Morgens eine Nachricht von unseren brasilianischen Partnern in meiner Mailbox, und sie war überhaupt nicht mit dem entspannten Rhythmus synchron. Zunächst dachte ich, dass etwas nicht in Ordnung wäre: vielleicht hatten unsere brasilianischen Partner zu viel Sonne gehabt – genau am Abend der Olympischen Spiele? 😀 Dann las ich Ihre Mail ein zweites Mal, googlete ein bisschen und…war hin und weg.

Die nackten Tatsachen. Zwei Brasilianer, die kein einziges Wort Russisch können, entschieden sich dazu, Russland zum ersten Mal in ihrem Leben zu besuchen. Über 21 Tage reisten sie 10.000 Kilometer auf ihren Motorrädern von St. Petersburg nach Wladiwostok.

In der Nachricht erklärten sie, dass die mutigen Biker gerade von Vladivostok nach Moskau zurückgekommen waren und, dass sie noch ein paar Tage in Moskau verbringen würden, bevor sie nach Hause fliegen. Die Nachricht war klar und ich konnte mir die Chance nicht entgehen lassen, die zwei Helden persönlich zu treffen und ihnen die Hand zu schütteln und sie über ihre Reise zu fragen.

Hier haben wir Rodrigo Dessaune, einen IT-Geschäftsmann und hoffnungslosen Romantiker, sowie extremen Langstreckenbiker.

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Es war eigentlich mehr als ein Meeting und wurde zu einem ausgedehnten „Interview“, in dem ich viele Fragen zum Abenteuer der Brasilianer in Sibirien stellte. Sie können alles unten nachlesen – es ist eine wirklich faszinierende Story!

10 k+ km, ein 21-Tage-Trip durch ganz Russland bedeutet sieben Zeitzonen. Hatten Sie einen Jetlag? War nur ein Scherz :). Es würde mich nur interessieren, warum Sie sich dazu entschieden, Sibirien zu durchqueren, anstatt eine vieler anderer Routen auf der Welt zu nehmen?

Jeder Fahrer hat seine persönliche Wunschliste.

Mein Reisebegleiter Allan Costa und ich sind einige der besten Routen der Welt gefahren Route 66 in den USA, ein Trip zur südlichsten Stadt der Welt (Ushuaia), Ruta 40 (Argentinien), die Carretera Austral (Chile), Carretera de La Muerte (Bolivien), Ruta Panamericana, die Careterra de la Muerte (Bolivien), US-01 an der amerikanischen Westküste und der östliche Teil des Highway 1 in Australien. Aber die Transsibirische Route war noch unbezwungen, lauerte, beobachtete und wartete auf ihren Moment.

Es ist ganz natürlich für Menschen, die Erlebnissportarten genießen: das nächste Abenteuer muss immer besser/anders/extremer sein als das davor. Letztendlich ist das, wonach wir suchen, unsere Grenzen mit neuen Eroberungen zu erweitern. Also war die transsibirische Route aufgrund ihrer unzugänglichen, wilden Landschaft eine natürliche Wahl. Natürlich würden wir Probleme mit der Sprache haben – keiner von uns spricht Russisch. Daher würde der Umgang mit den Schwierigkeiten auf der Strecke eine Hürde an sich sein. Und dann ist da noch der Platz, den die transsibirische Route in der Fantasie einnimmt: eine mysteriöse, wunderschöne und legendäre Route, die bereist werden muss.

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Was waren die drei Hauptgründe, wegen denen Sie davon träumten, Sibirien zu durchqueren?

Ich würde sagen, dass die Schwierigkeit der Route an sich der erste Grund ist. Das größte Land auf der Welt über sieben Zeitzonen zu durchqueren, die Straßen, mit denen wir es zu tun bekommen würden – wir hatten keine Ahnung, wie sie sein würden: das alles ist Musik in den Ohren eines Extremmotorradfahrers.

Zweitens ist Russland für uns einer der weltweit schönsten Orte, die entdeckt werden müssen – mit seiner vielfältigen Kultur und den unglaublichen Landschaften.

Und schließlich ist für die meisten Brasilianer die transsibirische Route eine der mysteriösesten, abenteuerlichsten und exotischsten Routen auf der Welt, und wir wollten sie selbst erleben – aber auf einem Motorrad und nicht im Zug. Wir könnten auch erwähnen, wie unglaublich hübsch russische Frauen sind, aber das ist irrelevant, da wir beide jemanden haben, der auf uns zu Hause in Brasilien wartet … :-).

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Nicht viele Russen haben diesen Trip gemacht, um ihr eigenes Land zu sehen (mich eingeschlossen). Einer der Gründe ist der Mythos, der die dünn besiedelte sibirische Landschaft mitten im Nirgendwo umgibt. Hatten Sie Bedenken zur Sicherheit oder etwas anderem, bevor Sie die Reise antraten?

Sehr sogar! Unsere Freunde, ihre Freunde, einschließlich die aus Russland… sie waren alle skeptisch bezüglich des sensus communis des Trips. Und ja, sie erzählten mir von allen Mythen zu diesen Straßen, Personen, Polizei, Korruption, Mafia, die Überreste des Kalten Kriegs, Bären auf der Straße (nur ein Scherz) und andere unangenehme (manchmal furchteinflößende) Dinge. Viele Klischees und Nonsens.

Das einzige, was in ihren Geschichten fehlte, waren Aliens. Und diese Geschichten spornten uns nur weiter an, das alles mit eigenen Augen zu sehen. Wir trauten nie den Stereotypen und Mythen; wir waren uns sicher, dass es irgendwie anders sein würde. Gleichzeitig wussten wir, dass wir, selbst wenn die schlimmste Voraussagungen wahrwerden würde, wir am Ende ein unvergessliches Ereignis erleben würden. Ist das nicht letztendlich das, wonach wir suchen?

Jetzt, nach beinahe 11.000 km und dem Kennenlernen von hunderten von Menschen von der ganzen Welt, können wir bestätigen, dass all das Schlechte, was wir über Russland gehört hatten, reine Mythen sind. Es gab immer freundliche Menschen, die uns ihre Hilfe anboten, angemessene Straßen (zumindest viel besser als ich erwartet hatte), gut ausgestattete Geschäfte und fast gutes Wetter.

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Wo wir gerade beim Thema Aliens sind – was ist Ihnen zwischen Belogorsk und Khabarovsk passiert.

Es handelte sich um einen der Tage, die nicht so toll liefen.

Wir brachen früh in Belogorsk auf, um Zeit aufzuholen und die Frische der frühen Morgenstunden zu nutzen. Dann ging einem der Motorräder unerwartet das Benzin aus – 10 km vor der nächsten Tankstelle. Da waren wir nun, wir beide und mit toten Insekten überzogenen Bikes, die scheinbar in Schwärmen durch die Luft flogen. Wir hielten schließlich auf einer malerischen Brücke, um ein paar Fotos zu schießen.

Wir waren damit beschäftig, den besten Winkel für die Aufnahmen zu finden, als wir auf einmal Stimmen hörten… Wir dachten, wir wären verrückt geworden: wir befanden uns mitten im Nirgendwo! Aber wir konnten sie beide hören, also kamen wir zu dem Entschluss, dass wir ganz und gar nicht verrückt waren. Was für eine Erleichterung! 😀 Also machten wir weiter Fotos.

Aber die Stimmen wurden lauter und genau da dachten wir, ja! – Aliens :). Wir schauten nach oben, bereit ein Raumschiff der Art „Independence Day“ über unseren Köpfen zu erblicken; jedoch fanden wir schnell heraus, woher diese Stimmen kamen. Da waren Lautsprecher auf der Brücke und der Wächter am Ende der Brücke befahl uns, von der Brücke zu verschwinden. Es stellte sich heraus, dass wir uns in einer Grenzregion befanden und, dass wir aus Sicherheitsgründen nicht auf der Brücke halten durften, ganz davon abgesehen, Fotos zu schießen. Aber es gab auch eine Erleichterung: Es war kein Alien, sondern die russische Armee J. Ein wahres Abenteuer, aber die Bilder sind es wert!

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Zu dieser Jahreszeit gib es viele Moskitos…

Tatsächlich! Auf einigen Abschnitten beendeten wir unseren Tagestrip vollkommen bedeckt mit toten Insekten. Wirklich ALLES: Jacken, Hosen, Helme, Stiefel, Frontscheiben. Wir hatten viele Stopps, in denen wir unsere Visiere säubern mussten, um richtig sehen zu können!

Es ist kaum vorzustellen, dass Sie keine Probleme während des Trips hatten!

Natürlich hatten wir ein paar technische Probleme, aber sie waren nicht gravierend und machten unsere Reise noch unterhaltsamer. Vielleicht aufgrund der Qualität des Treibstoffs verbrauchten unsere Motorräder mehr als geplant, d. h., dass wir langsamer reisen mussten und eine zusätzliche Gelegenheit nutzen mussten, um zu tanken. Wir hatten mehrere Probleme mit den Reifen und der Motorradausrüstung- Manchmal wollten wir die Bikes nur noch wegschmeißen und das erste Flugzeug nehmen (mit Klimaanlage!) und verschwinden. Aber auf keinen Fall, wir machten weiter!

Das größte Problem war eine kaputte Kupplung in der Nähe von Omsk. Wir verbrachten drei Tage in der Stadt mit nichts anderem als nervös zu werden und dafür zu beten, dass die Mechaniker ihre Arbeit tun würden. Um solch ein Problem bei BMW-Motorrädern zu lösen, muss das Bike wortwörtlich in zwei Teile geteilt werden. Als wir das Motorrad so sahen, konnten wir die Verzweiflung nicht unterdrücken. Aber nach allem: Wenn Russen MIGs, Raumschiffe und Kernkraftwerke bauen können, sollte die Reparatur eines Motorrads – selbst einem, das in zwei Teile geteilt ist – ein Zuckerschlecken sein.

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Wir hatten nur ein einziges Zusammentreffen mit der russischen Polizei – in der Nähe von Nizhny Novgorod, als wir die Verkehrsordnung missachteten. Sie waren sehr höflich, aufmerksam und professionell. Und wir hatten nie irgendwelche Probleme mit den Einheimischen auf der Strecke – ganz im Gegenteil waren sie immer froh, helfen zu können.

Als wir einmal in Krasnoyarsk zu Abend aßen und wir zurück ins Hotel kamen, fiel mir auf, dass ich meine Geldbörse vergessen hatte (vielleicht eine Nebenwirkung von zu viel Wodka 😀 ). Als wir zum Restaurant zurückkehrten, stellten wir fest, dass der Manager die Geldbörse gefunden hatte – er brachte sie uns mit einer vollständigen Liste des Inhalts und jedem einzelnen Rubel darin! Es war eine rechte Überraschung für uns Brasilianer – wir erwarteten das Schlimmste!

Ich weiß, dass Russen, besonders auf den Dörfern, nichts außer Russisch sprechen. Wie haben Sie mit ihnen kommuniziert?

Ganz einfach! Wir installierten ein Wörterbuch auf unseren Handys! Aber es stimmt – nicht viele sprechen Englisch. Und wissen Sie was? Unter den Leuten, die wir in den ländlichen Gegenden von Russland trafen, waren… Kolumbianer uns Brasilianer!

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Wirklich?

Wir waren genau so überrascht wie Sie. Ich war einfach nur verblüfft, als ich auf eine kolumbianische Familie in Chita traf. Sie reisten auch um die Welt, aber in die andere Richtung. Also machten wir Fotos, tauschten die Kontaktdaten aus und würden uns dieses Jahr in Kolumbien treffen.

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Das zweite nicht-russisch-sprechende Erlebnis hatten wir in Vladivostok, wo wir auf ein brasilianisches Pärchen trafen, das durch einen glücklichen Zufall im gleichen Hotel wie wir schlief. Renan und Paula reisen seit fast drei (!) Jahren um die Welt und haben wie wir gerade den transsibirischen Trip beendet – nur mit dem Auto. Als sie die Motorräder mit den brasilianischen Flaggen im Parkhaus des Hotels sahen, gingen sie direkt zur Rezeption und fanden uns. Und ich muss sagen, dass das das schönste und unerwartetste Ende eines Trips war, das wir je erlebt haben!

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Ich würde gerne wissen, wie Sie den Trip geplant haben. War es alles improvisiert oder eine genau geplante Expedition mit einem Plan für jeden Tag, vorgebuchten Hotels, Tankstellenkoordinaten und anderen Dingen?

Kleinliches Planen ist definitiv nicht unsere Art zu reisen.

Wir glauben, dass, wenn ein Trip nicht wirklich selbständig und unabhängig durchgezogen werden kann, es besser ist, erst gar nicht aufzubrechen. Und das erhöht nur die Komplexität der Planung. Wir können nicht behaupten, dass dieser Trip vollkommen improvisiert gewesen wäre, da wir uns Etappenziele setzten und mit lokalen Freunden darüber sprachen, wo wir anhalten, wie wir uns verhalten und wen wir im Notfall anrufen sollten. Aber in einigen Fällen mussten wir improvisieren, was den Trip durch die spontanen Überraschungen nur noch besser machte.

Es ging z. B. mit Hotels los, die wir über die Route gebucht hatten und sich an zuvor besprochenen Etappenzielen befanden. Normalerweise machen wir das nicht, aber aufgrund der Sprachprobleme entschlossen wir uns dazu, wenigstens Ankunftspunkte auf der Route zu haben.

Jedoch entschlossen wir uns aufgrund der kaputten Kupplung und der drei Tage, die wir in Omsk verloren hatten, die Buchungen zu stornieren und die Hotels vor Ort zu buchen. So trafen wir z. B. auf Renan und Paula. Hätten wir uns an den ursprünglichen Plan gehalten, wären wir in einem anderen Hotel in Vladivostok gelandet und dieses wunderbare Treffen am Ende der Reise wäre niemals geschehen.

CHEGADA

Ok, nun zum technischen Teil. Erzählen Sie mir mehr zu Ihrer Ausrüstung.

Wir hatten zwei BMW R1200GS. Wir konnten nicht viele persönliche Dinge und Hilfsmittel mit uns nehmen, da der Platz fürs Gepäck stark eingeschränkt war. Wir hatten nur eine DSLR-Kamera, zwei GoPros, Handys mit örtlichen Karten, einen Laptop, um unseren Blog und soziale Netzwerke zu aktualisieren, einige persönliche Gegenstände und eine gut durchdachte Erste-Hilfe-Ausrüstung, mit den Grundflüssigkeiten, Medizin, Verband usw. Am Ende (und glücklicherweise) benutzten wir nicht viel davon, aber es ist immer gut, etwas bei sich zu haben, nur für alle Fälle. Hier können Sie einen detaillierteren Überblick zu unserer Ausrüstung finden (auf Portugiesisch, hier ist eine von Google übersetzte Version). Natürlich trugen wir die bestmöglichste Kleidung, mit hochqualitativen Schutzjacken, -Hosen und –Stiefeln, und Hightech-Thermowäsche, um uns warm zu halten.

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Mein Lebenstraum ist es, den Baikalsee zu sehen: im Sommer und im Winter. Ja, ich war noch niemals dort! Sie waren dort – was war Ihr Eindruck dieses Naturwunders?

Der Baikalsee war eine Sache für sich.

Wir erwarteten, dass er einer der Hauptsehenswürdigkeiten der Route sein würde, und so war es auch. Leider mussten wir durch die drei Tage, die wir in Omsk mit der Reparatur des Motorrads verbrachten, ein paar Ecken auslassen und verbrachten weniger Zeit am See als uns gefallen hätte. Aber selbst in der kurzen Zeit konnten wir die Schönheit des Sees und die warme und gemütliche Atmosphäre bei Listvyanka bestätigen – direkt am Ufer des Sees aßen wir traditionell geräucherten Fisch (Omul). Wir fuhren rund 100 km um den See, mit einer einzigartigen Landschaft, die uns für immer im Gedächtnis bleiben wird.

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Haben Sie schon eine Rückkehr nach Russland geplant, um zu anderen Orten zu fahren?

Absolut! Lassen Sie mich Ihnen eine Geschichte erzählen. Als wir mit der kaputten Kupplung in Omsk festsaßen und auf die Pannenhilfe warteten, hielt auf einmal ein Motorradfahrer an, um uns seine Hilfe anzubieten. Er sprach kaum Englisch, aber wir verstanden, dass er auf dem Weg nach Magadan war – für Motorradfahrer ein mystischer Ort im Fernen Osten. Es handelt sich um eine lange Strecke, die auf der „Knochenstraße“ endet. Ich googelte es, schaute mit die Straßen an und wollte dort hin!

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Übrigens war dieser Typ sehr nett; als er bemerkte, dass die Pannenhilfe bereits auf dem Weg war, gab er uns ein Päckchen mit Sonnenblumenkernen, nur um uns aufzuheitern. Er hatte nicht viel bei sich, aber wir waren ihm sehr dankbar. Später verstanden wir, dass es in Sibirien normal ist: Man überlässt hier niemals jemanden auf der Straße sich selbst. Diese Gewohnheit kommt aus dem Winter – wenn Sie jemanden zurücklassen, könnte es das letzte Mal gewesen sein, dass Sie ihn gesehen haben. In diesem Teil des Landes besteht für Reisende die Gefahr des Kältetods.

Danke Rodrigo! Kommen Sie sicher nach Hause und ich wünschen Ihnen noch mehr sichere Extremabenteuer wie dieses!

P.S.: Sollte jemand daran interessiert sein, mehr zu lesen, finden Sie hier alle Details dieses Abenteuers. Es ist auf brasilianischem Portugiesisch, aber alle Übersetzungstools dieser Erde stehen Ihnen zur Verfügung.

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