Ein offener Brief an Twitters Management

„When you tear out a man’s tongue, you are not proving him a liar, you’re only telling the world that you fear what he might say.“ 

(Wenn man jemandem die Zunge herausreißt, beweist man damit nicht, dass er ein Lügner ist, sondern zeigt der Welt, dass man Angst davor hat, was er sagen könnte.)

Tyrion Lannister, Game of Thrones

Sehr geehrter Herr Dorsey, sehr geehrtes Twitter-Management,

Auch mir ist nicht entgangen, dass Sie in letzter Zeit Bedenken bezüglich der „Gesundheit“ Ihrer Social-Media-Plattform haben und wie diese böswillig dazu verwendet werden kann, Falschinformationen zu verbreiten, soziale Disharmonie zu erzeugen, usw. Als langjähriger Befürworter eines sicheren und freundlichen Internets teile ich diese Bedenken mit Ihnen! Obwohl ich davon ausgegangen bin, dass mein Unternehmen an der Peripherie dieses sozialen Mediensturms steht, hat sich herausgestellt, dass ich mich in diesem Aspekt scheinbar völlig geirrt habe.

Wenn es sich hierbei um einen Fehler handelt, geben Sie dies bitte öffentlich zu. So würden Zweifel an einer möglichen politischen Zensur auf Twitter ausgeräumt werden.

Ende Januar 2018 hat uns Twitter unerwartet über ein Werbeverbot für unsere offiziellen Twitter-Konten informiert, über die wir neu veröffentlichte Beiträge auf unseren verschiedenen Blogs (darunter Securelist und Kaspersky Daily) zu Themen rund um Cybersicherheit ankündigen, über neue Cyberbedrohungen informieren und Nutzern bei einem möglichen Befall Erste Hilfe leisten. In einem kurzen Brief von einem namentlich nicht gekennzeichneten Twitter-Mitarbeiter wurde uns mitgeteilt, dass unser Unternehmen „ein Geschäftsmodell betreibt, das mit den geschäftlichen Gepflogenheiten des Twitter-Werbegeschäfts in Konflikt steht“.

„OUR DETERMINATION THAT KASPERSKY LAB OPERATES USING A BUSINESS MODEL THAT INHERENTLY CONFLICTS WITH ACCEPTABLE TWITTER ADS BUSINESS PRACTICES“ (Diese Entscheidung basiert auf der Feststellung, dass Kaspersky Lab ein Geschäftsmodell betreibt, das mit den geschäftlichen Gepflogenheiten des Twitter-Werbegeschäfts in Konflikt steht.)

Wie bitte? Selbst nach mehrfachem Lesen dieser Formulierung ist es mir noch immer nicht gelungen in Erfahrung zu bringen, wie sie mit uns im Zusammenhang stehen könnte. Eine Sache kann ich allerdings mit Sicherheit sagen: Wir haben keine geschriebenen oder ungeschriebenen Regeln verletzt, und bei unserem Geschäftsmodell handelt es sich um das gleiche Template-Modell, das in der gesamten Cybersicherheitsbranche verwendet wird: Wir stellen Nutzern Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung, für die wir im Gegenzug bezahlt werden. Welche spezifischen (oder unspezifischen) Regeln, Standards und/oder Geschäftspraktiken wir verletzt haben sollen, wurde in dem Brief nicht angegeben. Meiner Ansicht nach widerspricht das Verbot dem von Twitter selbst vertretenen Grundrecht der Meinungsfreiheit. Ich werde in Kürze noch einmal auf diesen Punkt zurückkommen, aber zuerst möchte ich einen Blick auf folgende Aussagen werfen:

„WE ALSO WANT TO ENSURE PEOPLE FEEL SAFE WHEN THEY INTERACT WITH OUR SITE“ (Darüber hinaus möchten wir sicherstellen, dass sich Nutzer bei der Interaktion mit unserer Website sicher fühlen.)

Die Welt vor Cyberbedrohungen zu schützen ist unsere langjährige Mission. Man kann also davon ausgehen, dass Cybersicherheit bei den meisten Inhalten, die wir auf Twitter promoten, im Mittelpunkt steht. Als transparentes Unternehmen sind wir außerdem dazu bereit, die Gesamtzahlen bezüglich unserer Werbung auf Twitter mit Ihnen zu teilen:

http://e.infogram.com/6f24c56d-1516-4d56-a9bb-340e5c895e54

http://e.infogram.com/0e2d1d4e-de71-4688-abde-c2ce8445885e

Top-Promo-Tweets

Wie Sie selbst feststellen können, macht unsere Werbung auf Twitter nicht gerade einen großen Teil unserer globalen Ausgaben aus. Am Wichtigsten sind jedoch die Inhalte, die wir promoten.

Beiträge über Ransomware-Epidemien und Schutz-Empfehlungen für unsere Nutzer; hilfreiche Materialien zur Kinder-Cybersicherheit für Lehrer; Unternehmensmaßstäbe zu den durschnittlichen Ausgaben für Cybersicherheit. Natürlich gibt es auch die ein oder anderen Marketing-Inhalte, aber, warum sollte sie es auch nicht geben? Wir verkaufen Schutzlösungen für Cyberbedrohungen und das war’s. Keine Verstöße gegen Twitters Werbepraktiken!

Twitter spielt Cyberkriminellen in die Hände, wenn die Plattform die Bereitstellung wichtiger Informationen zum Schutz vor Cyberbedrohungen verhindert.

„WE ALSO WANT TO ENSURE THAT…ADVERTISERS BRING VALUE TO OUR USERS“ (Darüber hinaus möchten wir sicherstellen, dass Werbetreibende wertstiftend für unsere Nutzer sind.)

Wie ich bereits erwähnt habe, handelte es sich bei der Mehrheit unserer Promo-Inhalte auf Twitter um Informationen zur Cybersicherheit sowie Studien und Berichte rund um die Informationssicherheitsbranche. Wir sind davon überzeugt, dass diese Inhalte einer Vielzahl von Twitter-Nutzern behilflich sein können: sowohl für normale Nutzer, die mehr über einfache Tipps zum Schutz von Cyberbedrohungen erfahren möchten als auch für Sicherheitsexperten, die sich für die technischen Details unserer neuesten Forschung interessieren.

Twitter spielt Cyberkriminellen in die Hände, wenn wir daran gehindert werden, den Nutzern zeitnahe, potenziell wichtige Informationen zum Schutz vor Cyber-Erpressern zur Verfügung zu stellen. (Einer unserer Top-Promo-Tweets beinhaltete Schutzempfehlungen zur weltweiten WannaCry-Ransomware-Attacke.)

„WE BELIEVE IN FREEDOM OF EXPRESSION AND SPEAKING TRUTH TO POWER“ (Wir glauben an die Meinungsfreiheit und das öffentliche Wahrsprechen)

Wir auch! Oder haben wir vielleicht etwas verpasst? Schließlich sind wir bei Kaspersky Lab nicht nur gesetzestreu, sondern auch darin bestrebt, die Wahrheit unergründlicher Angelegenheiten zu erfahren: Aus diesem Grund haben wir Twitter einen offiziellen Brief geschickt.

Seitdem sind mehr als zwei Monate vergangen, und die einzige Antwort, die wir von Twitter erhalten haben, war die Kopie desselben Textbausteins, den wir bereits zuvor erhalten haben. Daher bin ich gezwungen, mich auf einen anderen (weniger subtilen) Twitter-Grundsatz zu beziehen, und die Details der Angelegenheit mit interessierten Benutzern zu teilen und Sie, liebes Twitter-Management, freundlich darum zu bitten Stellung zu den Gründen für dieses Verbot zu nehmen. Erklären Sie uns Ihre Entscheidung bitte umfassend und teilen Sie uns mit, was andere IT-Sicherheitsfirmen tun müssen, um ähnliche Situationen zu vermeiden. Und das bitte innerhalb einer angemessenen Frist.

Es ist äußerst wichtig, dass alle Änderungen auf Twitter vollständig enthüllt und transparent angwandt werden.

Verständlicherweise waren Sie in letzter Zeit damit beschäftigt öffentlichen und politischen Druck zu behandeln. Als Antwort auf diesen Druck müssen Social-Media-Plattformen – insbesondere Twitter – ihre Regeln und Richtlinien anpassen. Aber bitte, liebe Twitter-Manager, ich denke, es ist äußerst wichtig, dass jegliche und alle Änderungen, die als Reaktion auf bestehende Herausforderungen eingeführt werden, vollständig veröffentlicht und transparent angewendet werden.

Nehmen Sie diesen Brief bitte nicht persönlich; ich weiß, dass Twitter hart arbeitet und sich auf dem richtigen Weg befindet. Ich finde die Idee des Werbetransparenz-Centers von Twitter beispielsweise sehr gut. Wahrscheinlich können Sie sich denken warum. Meines Erachtens nach ist Transparenz in diesen turbulenten Zeiten nicht nur notwendig, sondern sollte zudem gefördert werden. Was uns betrifft, würden Sie kaum jemanden finden, der in der Cybersicherheitsindustrie transparenter ist als Kaspersky Lab.

Sollte es sich hierbei um eine irrtümliche Entscheidung handeln, geben Sie dies bitte offen zu; Irren ist menschlich – wir alle machen Fehler! Ich denke, das wäre der einzige zivilisierte Weg, jegliche Zweifel an einer möglichen politischen Zensur auf Twitter aus der Welt zu schaffen.

Wenn wir, abgesehen von unserem Kampf für mehr Cybersicherheit, auch gegen unkontrollierbare Zensurkämpfe angehen müssen, dann haben wir keine andere Wahl.

Einige der Leser fragen sich wahrscheinlich, warum wir diese Angelegenheiten öffentlich machen wollen. Unsere Gründe sind folgende:

Erstens: Wir möchten einen Präzedenzfall schaffen. Andere Plattformen könnten dem Beispiel von Twitter folgen, während andere apolitische IT-Sicherheitsfirmen mit unbegründeten, falschen Anschuldigungen in bestimmten US-amerikanischen Medienkanälen ins Visier genommen werden könnten. Sie schießen sich selbst ein Eigentor, wenn Sie dem geopolitischen Lärm Glauben schenken und damit anfangen sich zu weigern, Material unter falschem Vorwand zu promoten.

Zweitens: Aus Prinzip. Wenn wir Zeugen von Ungerechtigkeiten werden, kämpfen wir dagegen an. Und dabei handelt es sich schon lange nicht mehr um einen David-gegen-Goliath-Konflikt. Wir nehmen es mit Patent-Trollen auf und gewinnen den Kampf. Wir sagen ungerecht über uns in den Medien verbreiteten Lügen den Kampf an. Das alles ist Teil unserer täglichen Arbeit.

Und wenn wir, abgesehen von unserem Kampf für mehr Cybersicherheit, auch noch mit der Zensur verbundene, nicht gerechtfertigte Handlungen bekämpfen müssen, dann bleibt uns keine andere Wahl.

Übrigens: Wenn Sie denken, wir machen das Ganze nur, um erneut auf Twitter werben zu dürfen, liegen Sie vollkommen falsch. Es gibt viele andere Möglichkeiten Informationen an interessierte Parteien zu übermitteln.

Egal, wie sich diese Situation entwickelt: Wir werden dieses Jahr keine Werbung mehr auf Twitter schalten. Das gesamte geplante Werbebudget für 2018 wird stattdessen an die Electronic Frontier Foundation (EFF) gespendet. (Die Organisation tut viel, um die Online-Zensur zu bekämpfen.)

PS: Der schlimmste Virus ist eine Lüge. Und das einzige Gegenmittel ist die Fähigkeit des kritischen Denkens. Nein, der gesunde Menschenverstand ist noch nicht ausgestorben, meine Damen und Herren. Er scheint sich lediglich eine Auszeit zu nehmen.

Eugene @e_kaspersky hat einen offenen Brief an @jack Dorsey veröffentlicht, in dem er um mehr Transparenz bittet, um jegliche Zweifel an einer möglichen politischen Zensur auf Twitter aus der Welt zu schaffen.Tweet

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