Patente gegen Innovationen – Fortsetzung

„Patente gegen Innovationen“. Das klingt so paradox wie „Bienen gegen Honig“, „Hamburger gegen Ketchup“, „Studenten gegen Sex“ oder „Rock’n’Roll gegen Drogen“.

Patente gegen Innovationen? Wie kann es sowas geben? Patente gibt es ja schließlich, um die Rechte von Erfindern zu schützen, um Rendite aus Entwicklungsinvestitionen zu erhalten und generell, um technologischen Fortschritt zu ermöglichen. Nun ja, für manche Bereiche mag das gelten, in der heutigen Software-Welt ist das allerdings leider ganz anders.

Das heutige Patentrecht ist in Bezug auf Software… naja, es ist ein bisschen wie bei diesen Zirkus-Spiegeln, die die Wirklichkeit verzerrt darstellen. Das Patentrecht ist mittlerweile so weit weg vom gesunden Menschenverstand, dass es offenkundig absurd ist; das ganze System muss bis in seine Grundlagen überarbeitet werden. So schnell wie möglich! Andernfalls wird es einfach keine neuen innovativen Patente mehr geben, die das System eigentlich fördern sollte. (Toll gemacht, Patentsystem. Ausgezeichnete Arbeit.)

Wie sind wir also in diesen Schlamassel geraten?

Nun, entgegen der ursprünglichen Absicht, Erfinder mit Patenten zu schützen, sind sie heute eher Erpressungswerkzeuge, die genau das Gegenteil bewirken. Modernes Patentgeschäft ist reine Technologie-Gaunerei – eine Kreuzung zwischen… einer diebischen Elster und einem kleptomanischen Affen – mit boshaftem Gespür dafür, alles Wertvolle ins eigene Versteck zu locken.

Wachstum der gerichtlichen Patent-Verfahren mit Beteiligung von „Trollen“

trollcase

Quelle: PatentFreedom

Hier nun einige Details. Schauen wir uns das Patentgeschäft etwas genauer an.

Die wichtigsten Spieler in diesem Geschäft, die so viel Ärger verursachen, sind Patent-Aggregatoren, auch bekannt als Patent-Trolle, die die Rechte an Erfindungen kaufen und diese Rechte dann nutzen, um innovative Firmen zu erpressen… ähem… um ein teurer Dorn in der Seite innovativer Firmen zu werden, die diese Patente irgendwie verletzen. Natürlich scheint es nicht so außergewöhnlich zu sein, dass Erfinder auf Ideen kommen, die bereits patentiert sind… Das ist dann eigentlich auch ganz einfach. Um die Erfindung vermarkten zu können, müssen sie eine Gebühr zahlen. Tatsächlich ist es aber nicht so einfach. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs.

Erstens haben es die Patentbehörden in vielen Ländern (vor allem in den USA) traditionell erlaubt, dass Ideen im allerweitesten Sinne patentiert werden. Ein Beispiel: eine „Methode zur Übertragung eines elektrischen Signals“ – In zehn Jahren könnte das für fast alles unter der Sonne gelten. Vielleicht erinnern Sie sich an den aktuellen Fall, bei dem jemand behauptete, das „interaktive Web“ (im Grunde das Internet) erfunden zu haben, das angeblich durch ein Patent aus dem Jahr 1993 geschützt sei.

Zweitens werden die Ideen an sich patentiert, nicht ihre eigentliche Umsetzung (Herstellung). Das motiviert viele verschlagene Erfinder dazu, entweder stümpernde Fantasten mit außer Kontrolle geratenen Vorstellungen zu werden, oder heimliche Ausbeuter des Systems. Die große Masse der Patente von Aggregatoren wurden nie und werden nie in der Praxis umgesetzt werden, das heißt sie wurden/werden nie wirklich genutzt, um auch etwas herzustellen. Wenn aber jemand wirklich einmal eine gute Idee hat, die einem solchen Patent auch nur ähnelt, treten die Patent-Trolle in Aktion.

Drittens sind die Beschreibungen der meisten echten und konkreten Erfindungen (Ideen) oft so ungenau und vage, dass man sie mit wenig Mühe auf so ziemlich alles beziehen kann.

Fazit: Das moderne Patentsystem ist für alle möglichen Arten von Missbrauch anfällig. Allerdings sieht man schnell den Unterschied zwischen einem echten Erfinder und einem Patent-Troll – und zwar daran, wie sie jeweils diese Anfälligkeit nutzen. Der Unterschied zwischen den beiden ist sehr, sehr gering – aber dennoch leicht auszumachen.

Listige Schurken sind schnell, wenn es um das Ausnutzen des Systems geht, und haben dabei die einst respektierte Patent-Institution in ein Überfall-System verdreht. Jedes Jahr müssen innovative Firmen Milliarden von Dollar herausrücken und an die Trolle zahlen. Damit werden riesige Summen aus der Investition in echte Innovationen abgezogen, die eigentlich durch  Patente geschützt werden sollten!

Schlimmer noch ist, dass diese verkommenen und überaus zwielichtigen Betrügereien, zu denen das Patentgeschäft geworden ist, immer mehr wachsen und immer stärker werden. Dies ist auch nur natürlich: Der Aufwand ist gering, nichts muss hergestellt werden und Gewalt wird vermieden, dafür gibt es Verhandlungen in Konferenzräumen. Also, bauen Sie sich einen selbst einen Patent-Pool auf und führen Sie ihn wie ein Bandit, der sich jede Woche seinen Anteil holt. Kinderleicht!

Und dann gibt’s da noch den patentrechtlichen Zirkus mit seinen geografischen und branchenspezifischen Besonderheiten:

Das genaue Gegenteil des amerikanischen Systems ist das europäische.

In Europa ist es nicht so einfach, irgendetwas mit ungenauen Formeln zu patentieren. Hier werden die Patentbewerber von Experten eingehend geprüft, während typische Troll-Patente durch den Prüfungsprozess schon im Keim erstickt werden. Manchmal wird die Registrierung von Erfindungen aber noch erprobt: Dann kann man einfach irgendetwas patentieren – das wird nur ein bisschen oder gar nicht überprüft. In diesem Fall spielen die Trolle mit der Angst, und das wirkt recht bedrohlich. Sie verklagen eine Firma in der Hoffnung auf schnelle Kohle (meist im Millionenbereich), die sie sich durch eine außergerichtliche Einigung erhoffen. Wenn der Verklagte allerdings ruhig Blut behält und das Ganze vor Gericht kommen lässt, nehmen solche Trolle recht schnell Abstand von dem ganzen Unsinn. Vor ein paar Jahren hat man das in Italien auch mit uns und unserer mobilen Technologie versucht. Als wir die Angelegenheit vor Gericht bringen wollten, sind die Ankläger natürlich schnell zurückgerudert.

Software-Patente haben ihre eigenen Besonderheiten.

Hier ist das Ganze noch undurchsichtiger und komplizierter. Denn es ist eine Sache, technische Erfindungen zu patentieren (es gibt kaum eine Chance, Schrauben und Muttern zu umgehen), doch mit Software-Technologien sieht es ganz anders aus. Dieser Bereich ist ein einziges Gebilde aus Worten und Argumenten – oder deren Fehlen. Und so ist es schon seit Jahren. Oh, wie viel Verstand, Zeit und Geld werden hier verbraucht, die eigentlich für Innovationen gedacht waren!

Was für eine Verschwendung! Aber das System ist immer noch am Leben.

Man könnte meinen, wir würden Zeugen des Machtkampfs zwischen mutigen IT-Jungs und -Mädels und den gemeinen Patent-Trollen. Quatsch! Die Software-Hersteller selbst spielen allzu oft auf der anderen Seite der Barrikade mit – manchmal gezwungenermaßen.

Ein aktuelles Beispiel: Ericsson verkaufte zweitausend Patente an den Aggregator Unwired Planet. Das ist verständlich, denn die Schweden hatten genug finanzielle Schwierigkeiten, also mussten sie ihre Verbindlichkeiten möglichst verringern und das Vermögen erhöhen. Gleichzeitig durfte man sie nicht bei einem mafiösen/betrügerischen fragwürdigen Geschäft erwischen. Also haben sie ihre Patente verkauft und bekommen nun von ihrem Troll-Komplizen einen Anteil des Profits der Patente, die dieser verkauft oder für die er Gebühren eintreibt.

Andere begünstigen die Trolle, indem sie sich auf außergerichtliche Einigungen einlassen und Lizenzgebühren für Patente an die Trolle zahlen. Vom Blickwinkel eines Jungmanagers mit MBA ist das eine gerechtfertigte und schnelle Lösung; strategisch gesehen ist es allerdings ein schmachvolles Scheitern. Man gibt ihnen den kleinen Finger und sie nehmen den ganzen Arm: Schafft es ein Troll erstmal, Geld von einem Unternehmen zu bekommen, will er bald noch mehr haben.

Schon seit Jahren versuchen viele Länder, das Troll-Problem bei den Software-Patenten zu lösen.

Immer wieder wird zum Beispiel vorgeschlagen, das Patentieren von Software-Algorithmen komplett zu verbieten. Leider ist das bisher nicht der Fall. Neuseeland arbeitet schon seit drei Jahren daran, allerdings bisher ohne Ergebnis (obwohl zumindest ein Ende in Sicht ist). Vor Kurzem kam in Russland eine Arbeitsgruppe der US-Russia Bilateral Presidential Commission zusammen, um das Problem ein für alle Mal zu lösen. Und was glauben Sie, ist passiert? Der korrekte Vorschlag, Software-Algorithmen von der Liste der patentierbaren Objekte zu streichen, wurde gelöscht – aufgrund einer Eingabe von… Microsoft! Wozu? Doch nicht etwa, weil deren früherer CTO jetzt Chef des größten Patent-Trolls der Welt ist, oder? Aber darüber können wir später nachdenken…

Wie auch immer, Sie verstehen, was ich sagen will: Die Trolle laufen Amok und kommen immer noch damit durch, während es eine Ewigkeit dauert, das Patentrecht zu reformieren.

Was kann man also machen? Hier meine Vorschläge, was unbedingt zu tun ist:

  • Nicht-ursprünglichen Patentbesitzern (zum Beispiel Trolle, die Patente von den eigentlichen Erfindern gekauft haben) sollte verboten werden, rückwirkende Forderungen zu stellen. Das würde die weitverbreiteten Verzerrungen vermeiden, die entstehen, wenn ein Patentbesitzer sein Patent an einen Troll verkauft, um aus der Vergangenheit Profit zu schlagen, und nicht nur um sich selbst vor Patentklagen zu schützen.
  • Falls eine Klage abgewiesen oder zurückgezogen wird, muss der Troll alle Kosten des Angeklagten ersetzen. Derzeit sind sich die Trolle der Straffreiheit ihrer Aktionen bewusst und nutzen das bis zum Äußersten aus.
  • Patent-Aggregatoren sollte verboten werden, Forderungen bei Patentverletzungen einzureichen. Etwa bei Prozessen mit angebotener außergerichtlicher Einigung – das sollte als Erpressung gelten.
  • Patentbeschreibungen müssen geändert werden. Zum einen müssen der Zweck und der Anwendungsbereich einer Erfindung klar beschrieben werden (das technische Ergebnis, das im Patent gezeigt werden muss, bietet manchmal nicht die klaren Unterscheidungsmerkmale). Zum zweiten müssen die Begriffe des Patents und ihre Interpretation klar festgelegt werden. Ist all das nicht klar festgelegt, wird das Patent bei der Expertenprüfung abgelehnt.
  • Und zu guter Letzt das Wichtigste: Nur spezifische Implementierungen sollten patentiert werden, keine Ideen. Damit werden innovative Entwickler wirklich gefördert und geschützt, während die Patent-Trolle ein für alle Mal verschwinden.

Glücklicherweise scheint es auf höchster Ebene ein gewisses Verständnis für den Patent-Troll-Skandal zu geben, doch ist die Straße zum sprichwörtlichen Licht am Ende des Tunnels kurvig, voll mit Schlaglöchern und nur schwer zu meistern.

Wann kommt das Ende des Tunnels? Wer weiß? Hoffentlich früher als später.

 

Kommentare lesen 0
Hinterlassen Sie eine Nachricht.