16 Sep 2014
Die Kurilen: Warum, wo, wie.
Wo in aller Welt kam die Idee her, eine Kreuzfahrt zu machen, aber nicht zu touristenfreundlichen tropischen Inseln, sondern zu – aus gutem Grund – meist unbewohnten, polarartigen Inseln?
Das ist eigentlich ganz einfach…
Mein Lieblingsort für den jährlichen „harten Reset“ im August ist Kamtschatka: Vulkane, Geysire, heiße Quellen, Bären und viele weitere extreme Extreme. Aber… nun ja, in Kamtschatka war ich schon – und das mehr als einmal. Also war es Zeit für etwas Anderes, aber doch Ähnliches…
Immer, wenn ich in Kamtschatka bin, sagen die Einheimischen, „aber auf den Kurilen ist es noch besser…“. Und dann war auch noch meine Geistesverwandte Olga Rumyantsevaschon auf den Kurilen und hat nicht aufgehört, darüber zu reden… Also wurde ich über die Jahre immer neugieriger – bis die kritische Masse erreicht war und von… nun ja, von mir beschlossen wurde, dass die nächste August-Rebooting-Reise auf die Kurilen gehen würde.
Nachdem das – vor etwa einem Jahr – beschlossen worden war, ging es mit den Vorbreitungen los, die dann ein Jahr später endeten. Das „wer“ wurde festgelegt (vor allem Liebhaber von extremem Tourismus und extremer Naturbewunderung), die optimale Route wurde berechnet, das Kurilen-Gebiet wurde geprüft und das passendste Transportmittel ausgewählt. Wichtig war, alle beteiligten darüber zu informieren, dass das keine touristische Reise á la Fitneßstudio>Strand>Pina Colada>Spa>Cuba Libre>Taschenbuch>Single Malt… werden würde. Sondern eine wilde Seereise in rauem Klima auf noch raueren Inseln, ohne Internet oder Handyempfang.
Zurück zu den Wurzeln, zurück zur Natur.
Kuriose Tatsache: Die Kurilen haben ihren Namen von den Ainu, der indigenen Bevölkerung der Inseln. „Kuru“ bedeutet in ihrer Sprache „Mann“.
Eine andere kuriose, etymologische Tatsache: Der Name des Ochotskischen Meeres kommt vom ewenkischenFluss „Akhot“, der in der Nähe des heutigen ochotskischen Hafens liegt. Die russischen Kosaken, die im 17. Jahrhundert in diesen fernen Osten kamen, russifizierten es zu Ochota („Jagd“) und davon hat das Meer seinen heutigen Namen. Die Bedeutung von Akhot ist übrigens „groß“ :).
Der erste Entwurf der Expeditionsroute sah etwa so aus: Flug nach Petropavlovsk-Kamtschatsky. Dort dann auf ein kleines Schiff und dann langsam um die interessantesten Inseln der Kurilen fahren, von Norden nach Süden, mit Endpunkt in Juschno-Sachalinsk, von wo aus wieder heimgefolgen wird. Insgesamt 20 Tage unterwegs, von Flug zu Flug. Vom 2. bis 21. August 2014.
Die komplette Route sah dann folgendermaßen aus:
Tag 0 – 2. August. Hinflug. Sofort auf den Punkt kommen, mit Schwefelbädern in heißen Quellen. Bekämpfen des Jetlag.
Tag 1. An Bord der Schiffes gehen und los geht’s! Petropavlovsk-Kamtschatsky > Paramuschir (Sewero-Kurilsk). ~350 km, 18-Stunden-Reise, 10 Knoten = 18,5 km/h.
Tag 2. Paramuschir, der Vulkan Ebeko, Regen und Wind.
Tag 3. Paramuschir, „einfacher“ Tag, Leuchtturm-Ruinen.
Tag 4. Onekotan, der Vulkan Krenitsyn, 30 km hin und zurück. Der schönste Vulkan der Welt.
Tag 5. Charimkotan, einfacher Tag, Spaziergang entlang der Küste. Beeren (Moosbeeren, wilde Erdbeeren), Suche nach Floß-Artefakten.
Tag 6. Matua. Fuß-Exkursion rund um die Insel. Rostige Stahlfässer, verlassene Militärbasen.
Tag 7. Rasschua. „Spaziergang“ rund um die Hügel „Hammer“ und „Sichel“, Regen und sibirische Zwergpinien. Die „Straße des Todes“.
Tag 8. Uschischir. Kaldera-See, Marsch durch zwei Meter hohes Gras. Polarfüchse und heiße Quellen.
Tag 9. Simuschir. Die Kaldera des Zavaritsky-Vulkans.
Tag 10. Urup. Angeln, Wandern bei den heißen Quellen.
Tag 11. Iturup. Heißer Fluß, heiße Wasserfälle. Wasser mit 42 Grad (die Antwort auf die ultimative Frage nach dem Leben, dem Universum und einfach allem).
Tag 12. Iturup, der Vulkan Atsonupuri. Verdammt harter Tag.
Tag 13.Schikotan, Marschieren, Schwimmen im Meer.
Tag 14. Kunaschir, der Vulkan Tyatya.
Tag 15. Kunaschir,Lavasäulen.
Tag 16. Kunaschir, der Vulkan Mendeleyev, schwerer Aufstieg.
Tag 17. Kunaschir, der Vulkan Golovnina, heißer Schwefelschlamm. Es heißt, er sei sehr gesund.
Tag 18. Juschno-Kurilsk > Juschno-Sachalinsk, 25-Stunden-Reise.
Tag 19. Heimflug.
Die Reise war gelinde gesagt ein voller Erfolg. Und sehr ungewöhnlich…
Sie war extrem…
Wir wurden von Hurrikans herumgeschleudert, von kaltem Regen durchnässt und von heißen Quellen überhitzt. Wir wurden von Wellen geschüttelt und bei sandigen Aufstiegen umgeworfen. Stundenlang haben wir von den Gipfeln von Vulkanen und Kalderas in die Landschaft gestarrt. Die Abende haben wir uns mit Singen und Gitarrespielen vertrieben. Jeder Tag war so etwas wie eine Heldentat. Jeden Morgen wachten wir auf und wussten nicht, was der Tag für uns bereithalten würde: Wie lange wir gehen müssen, wie einfach oder schwierig es sein wird, ob es regnet, stürmt oder die Sonne scheint. Und auch nicht, was wir vom Gipfel des auf dem Programm stehenden Vulkans sehen würden…
Für mich macht ein Urlaub dann am meisten Spaß, wenn er Kontraste bietet: Wenn man das Überwinden künstlicher Hindernisse mit ausgleichend intensiven und einzigartigen positiven Gefühlen kombiniert. Und das haben wir auf jeden Fall bekommen! Es war so schön, dass ich denke, wir müssen irgendwann auf die Kurilen zurückkehren – jetzt, da wir die Erstlingsprobleme hinter uns haben. Allerdings werden wir nie mehr die einzigartigen Eindrücke des „ersten Mals“ haben.
Unsere Reise der Kontraste begann mit dem Aeroflot-Flug vom Moskauer Flughafen Scheremetjewo nach Petropavlovsk-Kamtschatsky. Zu meiner Überraschung war das Flugzeug – eine Boeing 777 – brandneu, hatte also fast nichts auf dem Tacho! Die Maschine hatte sogar diesen Geruch eines neuen Autos Flugzeugs! Bei all meinen Flügen war ich noch nie in einem funkelnagelneuen Flieger. Und der Service, das Essen, die Sitze und alles andere an Bord war wirklich erstklassig. Respekt Aeroflot!
Wenn Sie von Moskau nach Petropavlovsk fliegen, ist es am besten, den restlichen Tag nicht viel zu tun. Der Zeitunterschied zwischen Moskau und Petropavlovsk beträgt acht Stunden, der Jetlag kann also echt tödlich sein – selbst für erfahrene Reisende. Und es ist am besten, dieses nicht-viel-tun in Paratunka zu machen, wo die Hotels eigene Thermalquellen und heiße Swimming Pools haben! Paratunka ist ungefähr 30 Kilometer vom Flughafen entfernt.
Am nächsten Tag sind wir an Bord der „Athens“ gegangen, einem kleinen Schiff, das für die nächsten 18 Tage unser schwimmendes Zuhause wurde.
Der erste Eindruck dieses Schiffes war bei den meisten Reisenden ein klares „Oh, mein Gott“, denn die Athens ist absolut kein schwimmendes Luxusheim.
Aber man soll niemals die menschliche Fähigkeit, sich ganz leicht an alles mögliche anpassen zu können, unterschätzen. Vor allem nicht, wenn einem ein superfreundliches und superfröhliches Team dabei hilft! Der Beweis dafür? Als wir später auf Kunaschir waren, übernachteten wir zwei Nächte in einem komfortablen Hotel mit Toiletten in den Zimmern, Läden, gefüllten Mini-Bars und ohne Wellengang, der uns in den Schlaf schaukelte – und schon protestierte unsere Touristengruppe in einem gemeinsamen Chor: „Können wir nicht auf der Athens übernachen?“.
Die Athens bietet Platz für 20 Personen. Es gibt acht Kabinen auf dem unteren Deck, eine im Mitteldeck und zwei weitere Kojen im Gang zur Toilette! Es ist ein bisschen, als würde man in einem alten Zug mit Einzelabteilen reisen, nur, dass man auf einem Zug ein bisschen mehr durchgeschüttelt wird.
Ach ja, das Durchschütteln…
Einige unserer Gruppe fürchteten es wie die Pest! Am Anfang schluckten sie alle möglichen Pillen, trugen spezielle Armbänder und tranken seltsame Arzneien. Aber schließlich führten sie diese bizarren Rituale nur ein paarmal durch. Das war ein bisschen so wie mit den Insektenschutzmitteln, die nach ein oder zwei Tagen meist vergessen wurden. Die Mücken schienen so ziemlich überall einfach zu verschwinden. Nur auf Urup war es unangenehm, als die Gruppe beim Baden in den Schwefelquellen von äußerst gemeinen, kleinen Milben angegriffen wurde. Sie beißen ein Loch in die Haut, so dass es ein paar Tage dauern kann, bis die Wunde heilt.
Der „Speisewagen“ auf dem Schiff war toll. Dort haben wir die meiste Zeit auf dem Schiff verbracht. GROSSER Dank an Svetlana, die Schiffsköchin.
Wir haben anspruchslos gegessen, aber regelmäßig, reichlich und schmackhaft. Jeden Tag krümmten sich die Tische unter zwei oder drei Arten erster und zweiter Gänge. Frisch gefangener Fisch wurde den von uns mitgebrachten Rationen hinzugefügt, und zu so manch leckerem Gericht kombiniert. Und dazu gab es noch das von Svetlana täglich frisch gebackene Brot. Sie hat sogar Mittagessenspakete für die Vulkanbesteiger gepackt.
Nach so einer Expedition mit solch leckeren und notwendigerweise großen (für die Energie) Portionen war es seeeehr schwer, wieder in die normale Büroroutine der vernünftigen Kalorienaufnahme zurückzufinden :).
Im „Speisewagen“ haben wir Konzerte gegeben, Filme angesehen, die Fotos des Tages begutachtet, Besprechungen abgehalten, Brettspiele gespielt. Manche haben geschlafen.
Auf dem oberen Deck der Athens lagen die Quartiere der neunköpfigen Besatzung sowie von Manya (reinrassig und lang), dem Hund des Kapitäns. Und dann war da noch der Maschinenraum. Was sonst noch? Zwei Toiletten, zwei Duschen, Waschbecken und Trockner, und zwei Wäscheleinen, die extra für uns gespannt worden waren. Übrigens trockneten Stiefel, Rucksäcke und andere Ausrüstungsteile am schnellsten im Maschinenraum! Durchnässte Stiefel brauchen dort nur eine Stunde zum Trocknen!
So haben wir also fast drei Wochen lang die Kurilen bereist… Wir wurden durchnässt, wir wurden gewärmt (in den heißen Quellen), wir wurden toll verpflegt und von der Naturschönheit der Kurilen überwältigt. Eine fantastische Expedition. Das Nonplusultra im Tourismus der Kontraste :).